E-Book, Deutsch, Band 2, 336 Seiten
Reihe: Schwarzes Blut
Vogltanz Sterblich
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7519-8876-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 336 Seiten
Reihe: Schwarzes Blut
ISBN: 978-3-7519-8876-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ungarn im Jahr 1610: Unter dem Namen Báthory führt die Strigoi Elyssandria das Leben einer despotischen Adeligen. Als die Wolfsfrau Undine ihre Unterstützung in einem Kampf übernatürlicher Mächte erbittet, schickt sie die alte Freundin fort. Kurz darauf wird Elyssandria Opfer eines Giftattentats, das ihr die Unsterblichkeit raubt. Plötzlich ist sie selbst es, die Hilfe braucht. Doch ihre Zeit ist knapp, denn ihr körperlicher Verfall schreitet rasch voran. Ein Wettlauf gegen den Tod beginnt. Vollständig überarbeitete Neuauflage von »Schwarzes Blut: Mortalitas«
Melanie Vogltanz hat ihren Magister in Deutscher Philologie, Anglistik und LehrerInnenbildung an der Universität Wien gemacht. Sie wurde 1992 in Wien geboren und hat den berühmt-berüchtigten Wiener Galgenhumor praktisch mit der Muttermilch aufgesogen. Dem klassischen Happy End sagt sie im Großteil ihrer Geschichten den Kampf an, denn auch das Leben endet selten gut. 2007 veröffentlichte sie ihr Romandebüt; weitere Veröffentlichungen im Bereich der Dunklen Phantastik folgten. 2016 wurde sie mit dem »Encouragement Award« der European Science Fiction Society ausgezeichnet. Ihr Roman »Shape Me« wurde für den Deutschen Science Fiction-Preis und den Kurd Laßwitz-Preis nominiert. Mehr Informationen auf: http://www.melanie-vogltanz.net
Autoren/Hrsg.
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I.
Cséjthe Königliches Ungarn 1610 n. Chr. Zum wiederholten Mal fuhr der Lederriemen auf den weißen Rücken des Mädchens herab. Es öffnete den Mund zu einem lautlosen Schrei. Tränen vermischten sich auf seiner Schürze mit Schweiß und Blut. Beim nächsten Streich – es war der zehnte – kippte es zur Seite, seine Flanken hoben und senkten sich unregelmäßig. Blind glitten seine Hände über den Boden, als suchten sie nach einer Tür, durch die es dem Albtraum entrinnen konnte. Der kleine, krumme Mann mit dem verzerrten Gesicht fletschte die Zähne und hob den Arm mit dem Lederriemen erneut an. Ruhigen Schrittes trat Elyssandria aus den Schatten, von wo aus sie das Schauspiel bislang unbemerkt beobachtet hatte. Als er sie erblickte, erstarrte der Peitschende wie vom Donner gerührt. Einem Wolf gleich, der die Anwesenheit eines ranghohen Rudelmitglieds spürt, wich er einige Schritte zurück. Schweigend betrachtete Elyssandria das zerschlagene Mädchen. Es atmete noch, doch sein Herzschlag war schwach. Sein Rücken war eine einzige große Wunde. Elyssandria ließ sich in die Hocke sinken und berührte das weiße, aufgeplatzte Fleisch. »Was war das Vergehen dieser Zofe, Ficzkó?« Der Bursche schreckte beim Klang seines Namens zusammen. »Katalin hat sie zu mir geschickt, Herrin. Sie meinte, das Gör hätte schlampige Arbeit geleistet und bräuchte dringend ein paar Unterrichtsstunden.« Er ließ den Lederriemen im Handgelenk kreisen. Unter seinen Fingernägeln waren dunkelbraune Ränder zu erkennen, die zu den halbmondförmigen Kratzern im Gesicht des Mädchens passten. »Das hast du gut gemacht, Ficzkó. Aber nun solltest du dich wieder deinem Tagewerk widmen. Schließlich soll niemand dir schlampige Arbeit vorwerfen können, nicht wahr?« »Ja, Herrin. Ich meine, nein, Herrin.« Der Bursche verschränkte seine Stummelfinger wie zum Gebet, senkte ein letztes Mal den Kopf und hastete dann aus dem Raum. Als er gegangen war, hob Elyssandria das Mädchen behutsam auf ihren Schoß. Sein Blut versickerte in ihrem bestickten Seidenkleid, hinterließ braune Schlieren auf dem kostbaren Stoff. Vorsichtig strich Elyssandria das strohblonde, schweißdurchtränkte Haar zur Seite. Die Lider des Mädchens hoben sich flatternd und gaben den Blick auf graublaue Augen frei. »Eine Schande«, sagte Elyssandria leise. »Eine zarte Lilie, in voller Blüte stehend, rücksichtlos zertreten.« Behutsam zeichnete sie mit dem Finger die tiefen Kerben im Rücken des Mädchens nach. Es zuckte nur schwach. »Olga.« Elyssandria hob sein Kinn an, sodass es ihr ins Gesicht blicken musste. Die Augen der Zofe rollten ziellos in den Höhlen. Dann fanden sie Elyssandria, ihr Blick krallte sich in ihrem Gesicht fest. Langsam öffnete sich ihr Mund, eine rote, klaffende Wunde in ihrem weißen Gesicht. Ihre Glieder bebten plötzlich, ihr Herzschlag beschleunigte sich. Blut rauschte sturmflutartig in ihren Venen. Ein uralter Teil im Verstand des Mädchens hatte die Nähe des Todes gespürt. Zärtlich streichelte Elyssandria die bebende Wange, leckte sich genüsslich über die Lippen. »Olga. Die Zeit, dich aus meinen Diensten zu entlassen, ist gekommen.« Dunkle Augen starrten ihr aus einem bleichen Gesicht entgegen, eingerahmt von braunem Haar, dessen Farbe frei war von jedem Makel des Alters. Rote Lippen, zu einem hauchdünnen, hochmütigen Strich zusammengepresst, schienen sie verhöhnen zu wollen. Zögerlich betastete Elyssandria, die ihren christlichen Namen schon vor vielen Jahren abgelegt hatte, die perlmuttfarbene Gesichtshaut, die einem raffaelischen Heiligenbild entsprungen sein könnte. »Mehr Puder«, sagte sie. Gehorsam tauchte die Zofe den Quast in das Schälchen auf der Kommode und trug eine zweite, dicke Schicht auf das blass leuchtende Gesicht im Spiegel auf. Allmählich verschwand der unnatürliche Glanz der porzellanenen Haut. Elyssandria gefiel nicht, was sie sah. Das tat es nie. »Genug«, befahl sie. »Kämmen.« Die Dienerin griff nach dem Hornkamm und zog ihn behutsam durch Elyssandrias langes, kastanienbraunes Haar. Das Mädchen, das während der viele Stunden andauernden Prozedur kein einziges Mal Blickkontakt mit Elyssandria aufnahm, war noch nicht mit den Abläufen der morgendlichen Toilette vertraut, doch es lernte schnell. Es fragte nicht, warum Elyssandria so darauf erpicht war, ihren perfekten Teint unter mehreren Schichten von Wismutweiß zu verstecken, oder warum sie darauf bestand, ihr Haar mit Puder aufzuhellen, sodass es in einem bestimmten Licht beinahe grau erschien. Es hatte begriffen, dass Elyssandria sich das Alter auftrug, wie andere sich mit Jugend zu beschmieren versuchten. Nach und nach alterte die Frau im Spiegel, wurde von einer Zwanzigjährigen zu einer Frau Mitte dreißig. Doch um die Jahre widerzuspiegeln, die dieses Gesicht tatsächlich gesehen hatte, hätten alle Kosmetika der Erde nicht ausgereicht. Wird Zeit unbedeutend, sobald man einen unerschöpflichen Vorrat davon besitzt? Elyssandria war diese Frage schmerzhaft vertraut, die wie ein alter Freund an die Tür zu ihrem Geist klopfte. Seit ein gut gezielter Armbrustbolzen ihrem sterblichen Leben ein Ende bereitet hatte, war sie nicht mehr von ihrer Seite gewichen und hatte sie in zahllosen dunklen Stunden heimgesucht. Mittlerweile wähnte sie sich in der Lage, diese Frage zu beantworten. Der Wert der Stunden ließ sich nicht an ihrer Anzahl messen. Nein – Zeit war nur dann bedeutend, wenn man sie mit Sinn erfüllte. Bedauerlicherweise hatte Elyssandria dies zu spät begriffen. Bei dem Gedanken an all die vergeudeten Jahre verzogen sich ihre Lippen zu einer bitteren Grimasse. Nachdem sie mit Christian von dem Schlachtfeld in Wiens Untergrund geflohen war, waren sie in eine triste, nicht existente Zwischenwelt verschwunden. Sie hatten sich kaum an die Oberfläche gewagt, aus Furcht vor dem, was dort lauern mochte, doch vor allem aus Furcht vor sich selbst. Die Auseinandersetzung mit dem Mortianer Stephanus und seinen Anhängern war ernüchternd und erschreckend gewesen. Da sie beide spürten, dass das, wogegen sie so erbittert gekämpft hatten, auch in ihnen selbst schlummerte, hatten sie es bevorzugt, sich im Verborgenen zu halten, fernab des warmen pulsierenden Blutes, das sie zu unmenschlichen Taten verlocken könnte. Nur manchmal, wenn der Hunger nicht mehr zu ertragen war und Ratten und anderes Getier nicht mehr ausreichten, um ihn zu stillen, stahlen sie sich bei Nacht und Nebel aus ihrem Unterschlupf, plünderten Krankenbetten und frisch ausgehobene Gräber, um ein Stück von dem Leben zu kosten, über das sie so furchtsam einen frühzeitigen Totenschleier gebreitet hatten. »Gib doch acht!«, zischte Elyssandria, als das Mädchen den Kamm mit zu festem Strich durch ihr Haar zog. »Verzeiht, Herrin«, murmelte die Dienerin. Elyssandria hob die Hand zum Schlag, ließ sie dann jedoch wieder sinken. Das Mädchen war erst wenige Tage auf der Burg, es wäre fatal gewesen, es bereits so früh zu verschleißen. Sie schloss die Augen. Unbarmherzig spulten die Fehler der Vergangenheit sich hinter ihrer Stirn ab. Wie dumm sie doch gewesen waren. Bei dem verzweifelten Versuch, nicht zu Tieren zu werden, hatten sie sich selbst Ketten angelegt. Ihre Menschlichkeit hatten sie sich damit nicht bewahrt. Stattdessen waren sie erst recht zu Getier geworden, zu Ungeziefer, das das Licht scheute und vor jeder menschlichen Stimme floh. Gottlob hatte sie, wenn auch viel zu spät, den Weg verlassen, der sie unaufhaltsam in den Untergang geführt hatte. Natürlich, sie hatte Opfer bringen müssen – schmerzliche Opfer – doch sie hatte erreicht, wonach sie sich immer gesehnt hatte. Endlich musste sie sich nicht mehr schämen für das, was sie war. Sie schlug die Augen auf. Die Zofe hatte ihre Haare unterdessen kunstvoll hochgesteckt und mit Geschmeide aus Perlen und Gold verziert. Die Frisur betonte die Härte ihres ohnehin spitzen Gesichtes. Nun war das Mädchen eifrig damit beschäftigt, einzelne Strähnen mit Puder zu bestäuben, die es zuvor nicht erreicht hatte. »Verehrte Gräfin?« Elyssandria runzelte missbilligend die Stirn und packte den Arm der Dienerin, um sie in ihrer Arbeit zu unterbrechen. Eine der Wachen hatte ihre Gemächer betreten. Wortlos winkte sie den Wachmann heran, während sie vergeblich versuchte, sich seinen Namen ins Gedächtnis zu rufen. Sein Gesicht war eines von Hunderten, und das Personal wechselte viel zu rasch, als dass sie sich jeden einzelnen Kammerdiener hätte merken können. »Was soll die frühe Störung, Wächter?«, fragte sie. »Es tut mir leid, Gräfin«, erwiderte der Wächter verunsichert. Wie ein Großteil des Personals wagte auch er sich nicht näher als ein paar Schritte an Elyssandria heran. »Vor dem Tor wartet eine Frau. Sie behauptet, sie würde Euch kennen. Ich habe bereits mehrmals versucht,...