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E-Book, Deutsch, 156 Seiten

Voß Psychopharmaka und Drogen

Fakten und Mythen in Frage und Antwort
2. erweiterte und überarbeitete Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-045523-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Fakten und Mythen in Frage und Antwort

E-Book, Deutsch, 156 Seiten

ISBN: 978-3-17-045523-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dieses Buch ist ein Fundus an Fakten rund um psychoaktive Substanzen. Über 100 Fragen und Antworten schildern allgemeinverständlich den "Siegeszug" der Psychopharmaka und anderer Substanzen, erläutern Wirkungsweisen und historische Entwicklungen, Risiken und Abwege, garniert mit Anekdoten, Kontroversen und fesselnden Details. Nie wurde fundiertes psychopharmakologisches Grundwissen unterhaltsamer vermittelt. Die 2. Auflage wurde um neue Fragen und Antworten u.a. zu Schlafmitteln und Antidementiva ergänzt.
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1 Psychopharmaka – Grundlagen
1.1 Was sind Psychopharmaka?
Das Wort Psychopharmaka stammt aus dem Griechischen. Psycho heißt Seele, Pharmakon die Gabe, das Gift. Nimmt man diese weite Definition, dann sind auch Drogen gemeint, die zur Schmerzlinderung oder zur Flucht in eine Phantasiewelt eingesetzt werden. Substanzen dieser Art gibt es wahrscheinlich, seit es Menschen gibt. So war Kokain in der religiösen Kultur und Lebenspraxis der indigenen Bevölkerung Südamerikas tief verwurzelt. Es ließ den vom Schicksal Gebeutelten seine Sorgen vergessen und vertrieb Müdigkeit und Hungergefühle. 1.2 Seit wann gibt es Psychopharmaka?
Die Sumerer wandten schon 4000 Jahre vor unserer Zeitrechnung Opium in Form von Schlafmohn zur besseren Duldung von chronischen und schmerzhaften Erkrankungen an. Wandernde Ärzte in der Antike verabreichten Sterbenden eine Mischung aus Opium und Wein. Aus einem ca. 1600 vor Christus stammenden Papyrus geht Palmwein als Arzneibestandteil hervor. Bier wurde zuerst von den Ägyptern gebraut. Die Geschichte der Psychopharmaka im engeren Sinne beginnt mit dem Neuroleptikum Chlorpromazin Anfang der 1950er-Jahre, welches erstmals eine effektive Behandlung der Schizophrenie ermöglichte (? Kap. 3.8). Exkurs: Krankheit oder Störung?
Die Ursache der meisten psychischen Erkrankungen wird heute im Wesentlichen auf biologische, psychische und soziale Faktoren zurückgeführt. Man geht immer mehr davon aus, dass biologische, psychische und soziale Faktoren sich keinesfalls ausschließen, sondern im Gegenteil ergänzen. Obwohl nur schwer nachvollziehbar, ist die zunehmende Auffassung in der modernen Psychiatrie diejenige, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen organischen und psychischen Erkrankungen gibt. Die Gewichtung ist jedoch jeweils eine andere. Während bspw. bei Morbus Alzheimer oder Hirntumoren die biologischen Faktoren die maßgebliche Rolle spielen, liegt der Schwerpunkt von Erkrankungen wie Depressionen, Phobien, Angsterkrankungen etc. auf der Psychodynamik. Unter Psychodynamik versteht man u.?a. die bewussten und unbewussten Motive unseres Verhaltens sowie die Grundlagen ihrer Entstehung durch biographische Einflüsse. Auch wenn Fachkreise heute zu Recht das sog. triadische System nicht mehr als zeitgemäß betrachten, bietet das mit ihm verbundene Modell weiterhin einen ersten, didaktisch einfachen Zugang zum Verständnis der unterschiedlichen psychiatrischen Erkrankungen (? Abb. 1.1). Abb. 1.1:Das triadische System zur Einordnung psychiatrischer Erkrankungen (aus Voß 2019, S. 101; Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Adlerstein Verlags, www.adlerstein-verlag.de) Jede psychische Veränderung oder Erkrankung kann im Rahmen dieses Modells einer Spitze des Dreiecks zugeordnet werden. Wie eingangs erwähnt, lassen die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte eine solche strikte Trennung dieser Erkrankungseinheiten nicht mehr zu. Beispielsweise spielen auch bei den endogenen Psychosen psychodynamische Faktoren eine Rolle und bei neurotischen Störungen biologische. Am besten abgrenzbar sind immer noch die exogenen Psychosen, bei denen immer eine morphologische Veränderung des Gehirns gefunden werden kann, z.?B. bei traumatischen Hirnschädigungen, Morbus Alzheimer, Morbus Pick, usw. Da eine klare Zuordnung oft nicht möglich ist, versucht die heutige Psychiatrie auf Begriffsbildungen wie etwa Neurose, Psychose und Endogenität zu verzichten. Stattdessen wird eine beschreibende Klassifikation bevorzugt. Die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen ist ein großes Thema. Abweichendes, unerwünschtes oder sonst wie nicht konformes Verhalten wurde in der Vergangenheit häufig als psychisch krank etikettiert, um mit dieser Instrumentalisierung unliebsame Zeitgenossen wegzusperren und mundtot zu machen. Um eine solche Stigmatisierung von vorherein zu vermeiden, wurde in der internationalen Klassifikation für psychische Erkrankungen der Begriff »Psychisch krank« durch »Störung« ersetzt. Was im Umkehrschluss jedoch nicht heißt, dass es psychische Erkrankungen nicht gäbe. Sie sind keine reine Erfindung, wie dies bspw. schon vor vielen Jahren der Psychiater Thomas Szasz in seinem Buch »Schizophrenie – das heilige Symbol der Psychiatrie« (1982) und weitere Autoren der antipsychiatrischen Bewegung behauptet hatten. Wie er eine solche These mit seiner Tätigkeit als psychiatrischer Oberarzt in einer Klinik vereinbaren konnte, ist nicht bekannt. Auch wäre es irrsinnig zu behaupten, dass alle Organe und Organsysteme des Menschen prinzipiell erkranken können, aber das komplexeste Organ, das Hirn, gerade nicht. 1.3 Verändern Psychopharmaka die Persönlichkeit?
Dass ein katholischer Priester nach Einnahme eines Antidepressivums zum Kommunismus konvertiert und Erster Sekretär der linken Partei seines Landes geworden ist, ist noch nicht berichtet worden. Ebenso gibt es keine Hinweise, dass Politiker der Grünen nach Einnahme eines Psychopharmakons zu erzkonservativen Patriarchen wurden. Trotzdem ist die Frage, ob Psychopharmaka eine persönlichkeitsverändernde Wirkung besäßen, eine der häufigsten Fragen, die Patienten stellen. Die Befürchtung liegt ja auch quasi auf der Hand, denn wenn ein Pharmakon die Psyche beeinflusst, warum sollte es dann nicht in der Lage sein, die Persönlichkeit ändern? Keine Panik! Je nachdem, welche Gruppe von Psychopharmaka verordnet wird, beeinflussen diese die Stimmung, reduzieren Ängste, fördern Wachheit oder Kognition und je nach Nebenwirkungsspektrum können sie auch schon mal das Gegenteil bewirken. Aber die Besonderheit des einzelnen Menschen, seine Grundeinstellungen in kulturellen, politischen und ethischen Fragen, kurz die Eigenschaften, die ihm seine individuelle unverwechselbare Struktur verleihen, verändern sie nicht. Wie alle anderen Medikamente werden auch Psychopharmaka, je nach Substanz, nach einigen Stunden bis Tagen aus dem Organismus wieder ausgeschieden und dann sind per definitionem sowohl ihre positiven als auch negativen Wirkungen nicht mehr nachweisbar. 1.4 Können Psychopharmaka aggressiv machen?
Ein wenig thematisiertes Phänomen. Andererseits nicht zu vernachlässigen. Wenn Amphetamine bei ADHS eingesetzt werden, führen sie zu besserer Konzentration, vermehrter Aufmerksamkeit und Ausgeglichenheit (? Kap. 7.15). Werden sie vom Gesunden eingenommen, führt es zu Antriebssteigerung und Euphorie, was auch schon mal in Impulsdurchbrüche und Aggressivität einmünden kann. Eine längere Einnahme kann mit einem erhöhten Risiko einer Psychose einhergehen. In seltenen Fällen können auch Antidepressiva aggressiv machen. Nach psychoanalytischer Auffassung ist die Depression eine Wendung der Aggression gegen sich selbst. Wenn diese nach innen weniger und nach außen mehr wird, ist ein aggressiveres Auftreten eigentlich nicht verwunderlich. Anders als Laborwerte lässt sich Aggressivität nicht objektiv messen. Sie ist eine Sache von Auslegung und Interpretation und entzieht sich somit einer wissenschaftlich fundierten Überprüfung. Eine mögliche Erklärung, warum Aggressivität unter Antidepressiva wenig beschrieben ist. Meiner Einschätzung nach ist dies nicht automatisch eine unerwünschte Nebenwirkung und kommt auch gar nicht so selten vor. Insbesondere tritt es bei Antidepressiva auf, die auf den Noradrenalin- und Dopamin-Stoffwechsel wirken. 1.5 Können Psychopharmaka das Gedächtnis beeinträchtigen?
Insbesondere Dopamin und Acetylcholin sind Neurotransmitter, die für die Gedächtnisbildung zuständig sind. Somit ist klar, dass sowohl die älteren Antidepressiva, die häufig eine anticholinerge Nebenwirkung haben (d.?h., sie heben die Wirkung von Acetylcholin auf), als auch Neuroleptika/Antipsychotika, die eine antidopaminerge Wirkung haben (d.?h., sie heben die Wirkung von Dopamin auf), auch das Gedächtnis beeinträchtigen können. Bei bestimmten Psychopharmaka ist auch das genaue Gegenteil beschrieben worden. Insbesondere bei Antidepressiva, welche für krankheitsbedingte Gedächtnisstörungen als Teilsymptom der Depression verantwortlich sind. Sie können sich, insbesondere durch die neueren Antidepressiva, komplett zurückbilden. Über einen längeren Zeitraum eingenommen, können auch Benzodiazepine das Gedächtnis beeinträchtigen. 1.6 Können Psychopharmaka auch psychische Krankheiten verursachen oder auslösen?
Falsch eingesetzt ganz sicher. Neuroleptika können beispielsweise durch die antidopaminerge Wirkung eine pharmakogene Depression auslösen. Umgekehrt Antidepressiva bei der bipolaren Erkrankung eine manische Phase. Auf einer ganz anderen Ebene verursachen Psychopharmaka, genauer gesagt deren Hersteller, für eine rasche Zunahme psychischer »Erkrankungen«. Zunächst einmal: Die Herstellung eines...


Dr. med. Burkhard Voß ist Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut mit eigener Praxis in Krefeld.



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