Waggerl / Reinick / Raabe | Wunder der Weihnacht | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Waggerl / Reinick / Raabe Wunder der Weihnacht

Die schönsten Geschichten
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-475-54555-9
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die schönsten Geschichten

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-475-54555-9
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Vorfreude auf das Fest ist sicher einer der schönsten Gründe, wieder einmal ein gutes Buch zur Hand zu nehmen und sich damit in die adventlich geschmückte Stube zurückzuziehen. Dieser Band versammelt beliebte und stimmungsvolle Texte zur Weihnachtszeit. Sie erzählen Heiteres und Besinnliches, Bekanntes und Neues, zaubern Schnee unter unsere Stiefel und Tannenduft in die Nasen. Lassen Sie sich berichten vom Wunder der Weihnacht! Mit Texten und Gedichten unter anderem von: Johann Wolfgang von Goethe, Joseph Freiherr von Eichendorff, Peter Rosegger, Ludwig Thoma, Adalbert Stifter, Rainer Maria Rilke, Karl Heinrich Waggerl und Theodor Storm.
Waggerl / Reinick / Raabe Wunder der Weihnacht jetzt bestellen!

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Weihnachtsfahrt und Weihnachtspredigt
von Wilhelm Raabe
Es war der vierundzwanzigste Dezember, und alle die jungen Damen, welche Zigarrentaschen und Polster und Kissen für den Rücken gestickt hatten – die Seelen der Männer, der jungen und alten, zu fangen, nach dem Wort des Propheten Ezechiel im dreizehnten Kapitel, Vers siebzehn und achtzehn, waren fertig mit ihrer Arbeit und erwarteten ihrerseits die Dinge, die da kommen sollten. Es warteten sehr viele Leute – große und kleine – auf kommende gute Dinge – der Himmel war am Morgen und Mittag so blau, wie man es sich nur wünschen mochte. Die Sonne bestrahlte glitzernd die weiße Weihnachtswelt und färbte sich erst am Nachmittag blutrot, als sie in den aufsteigenden Nebel hinab sank. Es schien, als ob die Sonne es wisse, dass hunderttausend Christbäume auf ihren Niedergang warteten, und es schien, als ob sie gutmütig und froh ihren Lauf beschleunige. Um fünf Minuten nach vier Uhr war das letzte Stückchen feuriges Gold hinter dem Horizont versunken – der Heilige Abend war da, war endlich gekommen, nachdem sich Millionen Kinderherzen so lange nach ihm gesehnt hatten. Um fünf Uhr läuteten alle Glocken im Lande den morgigen Festtag ein. Die Kuchen waren fertig, und es wurde Friede in der Brust auch der scheuereifrigsten Hausfrau. Um sechs Uhr stand jeder festlich geschmückte Tannenbaum in vollem Lichterglanz, und wer noch froh und glücklich sein konnte, der war es gewisslich um diese Stunde, in welcher sich das Himmelreich derer, die da sind wie die Kinder, auch dem trübsten Blick öffnet und das dunkelste Herz hell macht. Das war ein Reisetag! Das war ein Tag, um der Heimat zuzueilen! Hans Unwirrsch und Fränzchen Götz bedurften keines Zaubermantels, keines übernatürlichen Beförderungsmittels mehr. Der Postwagen oder vielmehr Postschlitten, der sie gen Freudenstadt führte, war selber ein zauberhaftes Vehikel, das dreist mit Oberons fliegender Muschel, mit dem fliegenden Koffer der arabischen Märchen, mit dem hölzernen Gaul, auf welchem der Ritter Peter mit dem silbernen Schlüssel und die schöne Magelone ritten, es aufnehmen konnte. Hans hatte sich als der trefflichste Reisemarschall erwiesen, sowohl während der Eisenbahnfahrt als auch am vergangenen Abend im Gasthof zu ***, wo er das Fränzchen unter den besonderen Schutz der vornehmen Frau Wirtin stellte und die freundliche Versicherung erhielt, dass das Fräulein unter keinem Dach in der Welt sicherer und behaglicher schlafen solle. Richtig wurde es ihm am andern Morgen vergnüglich und wohlbehalten überliefert. Sie nahmen Abschied von der wackern Frau Wirtin, die dem Fränzchen noch einen Sack mit heißem Sand, ›der kalten Füße wegen‹, nach dem Posthofe schickte. Sie fanden ihre Plätze auf dem Postschlitten und fuhren hinein in den vierundzwanzigsten Dezember, ohne die Lerchen am klaren, hellblauen Himmel zu vermissen. Wahrlich war die Post und der Weg nach Freudenstadt verzaubert. Hans Unwirrsch, der doch beides ziemlich genau kennen gelernt hatte, erkannte beides nicht wieder. Die Juden schienen bei solcher Kälte nicht zu reisen, und die Passagiere, die unterwegs ein- und ausstiegen, waren mit ihren mannigfaltigen Paketen, Schachteln und Körben in heiterster Weihnachtsstimmung, und der alte joviale Herr, welchem der Hanswurst, der den Enkel am Abend erfreuen sollte, aus der Brusttasche guckte, konnte schon allein die Beschwerlichkeiten der Reise zu einem Spaß machen. Der Weg war vortrefflich, und kein grober Bauer brauchte mit seinen Gäulen Vorspann zu leisten. Auf der glatten Bahn flog der Schlitten pfeilschnell dahin, und die Postillone wurden nicht müde, ihre Weihnachtsstimmung durch Peitschengeknall und wohlgemeinte Hornmusik kundzugeben. Durch alle Orte, durch welche die Post fuhr, war vor ihr der Weihnachtsmann geschritten, und jedermann sah aus, als ob er ihm so lange als möglich nachgesehen habe. Auch der bösartigste Stallknecht vor den Posthaltereien hatte sein Gesicht zu einem Grinsen verzogen, dessen letzte Ursache nicht etwa in einem extraordinär nobeln Trinkgeld zu suchen war. An solchem Tage mussten die letzten Gedanken an die trübe Vergangenheit mit ihren Kirchhofskreuzen aus der Brust entweichen. Die reine weiße Decke des Schnees hatte sich über die Gräber gebreitet, und der Sonnenschein glitzerte darauf – die Toten feierten die ewige Weihnacht jenseits der niederen Hügel und auch jenseits des Sonnenscheins. Anton und Christine Unwirrsch, die Base Schlotterbeck, der Oheim Grünebaum, der Geheime Rat Theodor Götz, Felix Götz und des Fränzchens Mutter hatten nichts dagegen, dass Hans und Fränzchen am Fest der Kinder, froh und selig wie Kinder, der irdischen Weihnachtsfreude ihre Herzen öffneten. Da waren die großen Nadelholzwälder und sahen heute ganz anders aus als an jenem dunkeln Tage, an welchem der Kandidat sie zum ersten Mal durchfuhr. Das wilde Schwein, das vom Rande des Forstes grunzend in den Schatten zurücktrabte, die Hasen, die komisch-eilig über den Schnee hüpften, der Zug Schneegänse, der mit Geschrei über den Wald zog – alles machte einen angenehmen Eindruck auf das Gemüt. Nur vergnüglich war’s, heute dem Fränzchen die Stelle zu zeigen, an welcher während der ersten Reise nach Grunzenow der Wagen im Schlamm stecken blieb und wo der erzürnte Vorspann-Bauer erst den Juden durchprügelte und dann das Wort Gottes, den Kandidaten Hans Unwirrsch, am Kragen nehmen wollte. Welch ein anderes Ding war die Heide im sonnenglänzenden Weihnachtsschnee als die Heide, über welcher der Novembernebel lag! Welch ein anderes Ding war die Stadt Freudenstadt am vierundzwanzigsten Dezember als am trüben Tage des Wind- und Reifmonats, an dem der Kandidat Unwirrsch zum ersten Mal das Vergnügen hatte, ihren Kirchturm am Horizont auftauchen zu sehen! Ja, da war die Stadt Freudenstadt wieder, und vor dem Tor stand Wache haltend ein mächtiger Schneemann, und sämtliche versammelte Jugend begrüßte die heranklingelnde Post mit lang hallendem Jubelschrei. Auch durch das Tor von Freudenstadt war der Weihnachtsmann den Reisenden vorangeschritten, und jedes Gesicht, das hinter den Fenstern der Gasse, durch welche das königliche Posthorn erschallte, erschien und neugierig der Post nachsah, musste ihn gesehen haben. Da war der Marktplatz von Freudenstadt; ›Frisch auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!‹, blies der Schwager und – hielt mit einem Ruck die Gäule zehn Minuten vor der durch den Postzettel dem Publikum kundgemachten Zeit an; – es war der vierundzwanzigste Dezember. Hans Unwirrsch hatte keine Zeit, an die merkwürdige Pünktlichkeit der Freudenstädter um zwölf Uhr mittags zu denken und das Fränzchen damit bekannt zu machen. Wer stand im Schnee vor der Tür der Posthalterei? Ein Mann, der ganz und gar aussah wie der Weihnachtsmann und jedenfalls ein Vetter oder sonst ein naher Verwandter von ihm war! Ein Mann in hohen Wasserstiefeln, Pelzrock und Pelzmütze. Ein Mann mit Pelzhandschuhen und einer qualmenden kurzen Tabakspfeife; ein Mann, der beim Anblick des Kandidaten Unwirrsch unzweifelhafte Zeichen ungemeiner Befriedigung und hohen Vergnügens zu erkennen gab; ein Mann, bei dessen Anblick der Kandidat Unwirrsch, die Hand Franziskas fassend, rief: »Der Herr Oberst von Bullau!« Nun war die Stunde, in der alle Christbäume im deutschen Lande aufflammten – die rechte Stunde, um in ein neues, glückliches Dasein mit freudig-vollem, dankbar bewegtem Herzen einzuziehen. Nun saß die Freude nieder an jedem Herd, an welchem sie nicht bereits die Sorge, die Krankheit, den Hass, den Neid und den Tod sitzend fand: Wahrlich, es war die Zeit, um hungernd nach Frieden und Liebe die Heimat zu erreichen! Das böse Moor lag hinter den Reisenden, schnaufend arbeiteten sich die Pferde die letzten Hügelreihen hinan. Hans hatte den Arm um seine Braut gelegt, es war nämlich sehr kalt geworden, und die Luft war so rein, der Mond schien so hell, dass weithin jeder Gegenstand sich aufs Schärfste von der schneebedeckten Erde abhob. Auf dem letzten Dünenhügel, dicht am Wege, stand eine dunkle Gestalt und – »Kreuzhimmeldonnerwetter!«, schrie der Oberst von Bullau, die Zügel mit aller Kraft fassend. Ein Blitz und ein Knall! Das war einer der Böller des Hauses Grunzenow, und die dunkle Gestalt war der Posten, den Grips aufgestellt hatte, das Nahen des Schlittens zu verkünden. Die Gäule bäumten sich und schlugen aus; es bedurfte aller Geschicklichkeit des Obersten, um sie zu beruhigen. – »Hier mal ran! Wer war mich denn dieser knallende Satan?«, rief der Oberst, und die dunkle Gestalt kam im kurzen Trab an den Schlitten, um sich zu melden. »Hurra, Grunzenow!«, schrie der Oberst; eine Rakete stieg jenseits des Hügelrückens auf; Grips mit den Seinigen meldete sich ebenfalls; – der Schlitten erreichte die Höhe des Weges, und das weiße Ufer, das Meer im Mondenschein und die hellen Hüttenfenster von Grunzenow lagen vor den Blicken des Fränzchens. »Da sind wir! Willkommen zu Hause, mein Liebling!«, rief...



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