Wallnöfer | TRACHT MACHT POLITIK | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Wallnöfer TRACHT MACHT POLITIK


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7099-3935-2
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-7099-3935-2
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



TRÄGST DU TRACHT? ODER REGT SIE DICH AUF? – OB GELIEBT ODER VERDAMMT: TRACHT UND DIRNDL SIND HEISSER DISKUSSIONSSTOFF!

KITSCH, KOMMERZ, KULTURPOLITISCHE WAFFE: WEM GEHÖRT DIE TRACHT?

Man schmückt sich mit ihr auf Volksfesten, Hochzeiten und Empfängen. Patriotische Modelabels haben sie für sich entdeckt. Trachtenvereine pflegen sie in ihren regionalen Ausformungen, die Designer der Haute Couture bringen sie neu interpretiert auf die Laufstege der Welt. PolitikerInnen verschiedenster Lager tragen sie, andere verweigern sich ihr. Die einen hassen, die anderen lieben sie: die Tracht. Egal, in welchen Farben und in welchem Kontext sie getragen wird – eines ist sie immer: ein Statement. Aber wofür? Ist sie ein farbenfrohes Zeichen regionaler Tradition und Zugehörigkeit? Nationalistische Gesinnungskleidung? Symbol einer "Leitkultur"? Oder doch einfach nur ein schönes Stück Stoff?

ÜBER KLEIDERORDNUNGEN, TRADITION UND LÄNDLICHEN SCHICK

Um die Tracht tobt ein Kampf. Aber wo liegen eigentlich die Wurzeln dieser Polarisierung? Von der einfachen Alltagsbekleidung über das Sehnsuchtsobjekt reicher Sommerfrischler und die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten bis zum Dirndl aus dem Discounter folgt Elsbeth Wallnöfer in ihrem Buch dem Weg eines Kleidungsstücks, der verwobener und verstrickter nicht sein könnte. Die Ethnologin und Philosophin fragt nach Demokratisierung und technischem Fortschritt, erzählt von Patriotismus, der Vision einer alldeutschen Kultur und vom nationalsozialistischen Verbot für Juden, Tracht zu tragen. Sie spürt den ursprünglichen Schnitten und Farben der Tracht nach und stellt Billigdirndln von der Stange den Haute Couture-Dirndln auf dem Catwalk gegenüber.

MODE VOR DEM HINTERGRUND ERSTARKENDER NATIONALISTISCHER TENDENZEN

Elsbeth Wallnöfer erzählt von Menschen, Moden und Mythen und legt frei, was vom Dirndl übrigbleibt, wenn Landromantik, politisches Korsett und die hartnäckigsten Irrtümer abgetragen sind. Ein hervorragend recherchiertes, ebenso pointiertes wie leidenschaftliches Buch – und ein beherzter Aufruf, sich das Dirndl zurückzuerobern! Mit zahlreichen Illustrationen.

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Weitere Infos & Material


ÜBERLIEFERUNGEN: VÖLKER, KLEIDER, ARME LEUTE
Schöne Frauen, interessante Diebinnen
Eines der berühmtesten aller frühen Porträts, auf dem eine nichtadelige Frau in Tracht abgebildet ist, ist ein Selbstbildnis der großartigen, zu ihren Lebzeiten bereits hochgeschätzten Schweiz-Österreicherin Angelika Kauffmann (1741–1807). Die wundersame Weltbürgerin und reichlich beschäftigte Künstlerin schuf Selbstporträts von sich in Bregenzer Tracht. Eines dieser Porträts, es ist im Besitz des Innsbrucker Ferdinandeums, zeigt sie in einer Pelzverbrämten Juppe, das Mieder bunt und quer genäht, drunter trägt sie ein leichtes Blüschen, der Hut liegt fein-frech wie leicht schief auf dem Haupt. Es ist nicht das einzige Selbstporträt in Tracht. Kauffmann war weit davon entfernt, sich mit diesem Konterfei zur Trachtenzeugin werden zu lassen. Für die Kostümgeschichte ist es insofern hilfreich, als es eine vielgereiste, moderne Frau und Malerin in einer kaum urban-modischen Kleidung abbildet. Als Vergleich zu diesem sehr lieblichen Selbstporträt ziehen wir ein weiteres, ungefähr zeitgleich entstandenes Motiv einer Frauengestalt in Tracht heran. Es befindet sich auf einem Jahreszeitenkasten aus dem Zillertal, der zum Bestand des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien gehört und das nur zu gerne in der Vergangenheit als Zeuge herangezogen wurde. Ein Fenster der Türfüllung greift eine mit Strohhut und Sichel gezierte Trachtenfigur zur allegorischen Darstellung des Sommers auf. Datiert ist das Stück auf das Jahr 1753, gar lieblich unbeschwert wirkt das Motiv auf den Betrachter. Doch genau dies liefert Grund, irritiert zu sein, denn die dargestellte Frau korrespondiert so gar nicht mit den ungeschönten Beschreibungen der Zillertalerinnen von späteren Durchreisenden. Zu adrett, zu sauber, zu aufgeräumt zeigt sich der Sommer in Gestalt der jungen Frau. Nun ist eine Analyse dazu generell schwierig, weil das Zillertal zwischen Salzburg und Tirol bis 1816 aufgeteilt war, erst 1816 kam der salzburgische Teil zu Tirol. Es bedürfte also genauester Abgleichungen von Ort, Zeit, herrschaftlichen Ordnungen, Grund der Anschaffung des Möbels. Naheliegend ist, dass der Kasten als dekoratives Accessoire vor allem für die nötige Idylle in der Stube zu sorgen hatte, denn die Zillertalerinnen realitätsnah abzubilden. Diese waren nämlich gar nicht so sittsam, wie die abgebildete Figur uns glauben machen will. Zu beiden Seiten der Herrschaften, so viel wissen wir, gaben die Zillertaler ihren Bischöfen und Gerichtspflegern Anlass zu Beschwerden. Dies deckt sich mit der archaisch-derben Lebensweise der Beschriebenen in den Reisebeschreibungen. Im Jahr 1768 soll gar eine eigene Kommission dazu eingesetzt worden sein, der Schlampigkeit und Unordentlichkeit auf die Spur zu kommen. Hier bemühte Personifikation des Sommers auf dem Kasten aus dem Zillertal weicht von nahezu allen späteren Abbildungen und schriftlichen Kommentaren derart ab, dass sie Zweifel an der Datierung des Schrankes aufkommen lässt, oder sich die Mode der Zillertalerinnen innerhalb kürzester Zeit von einem adretten Stück in einen miederlosen, wild gebundenen, gegen alle Sitten verstoßenden, groben Teil zurückverwandelt haben müsste. Dieses Beispiel dient der Veranschaulichung der Schwierigkeiten bei der Erörterung des Themas durch Abbildungen trachtiger Figuren. Daher bedarf es eines offenen Zugangs bei der Betrachtung von Tracht, der sich ökonomischer, politischer und modisch-ästhetischer Bezüge bedient und bildkritisch analysiert. Die erste Voraussetzung jedoch ist, sich von Glauben und Lehre eines jahrzehntelang idealisierten romantischen Trachten bildes zu verabschieden, sich frei zu spielen von den Topoi vergangener Erzählungen, selbst einen kritischen Blick auszubilden, mögliche Defizite in der Kontinuität zu entdecken, alte Texte neu zu lesen, Bilder neu zu erschauen. Einer der frühen Trachtenforscher, Adalbert Sikora (1880–1963), meinte Bezug nehmend auf die Zillertaler Tracht bereits im Jahr 1906, die Leute sahen zum Beispiel wahrscheinlich in ihrer Tracht nicht das, was andere darin sahen.1 Damit ist uns auf den Weg gegeben, was all die vielen Jahre so gut wie nie beherzigt wurde, aber dennoch das Klügste ist, das jemals zum Thema gesagt wurde. Es ist ratsam, diesen Satz von Sikora bei der weiteren Lektüre im Kopf zu behalten. Maler, Forscher, Reiseschriftsteller, sie alle haben einen Anteil an der epischen Geschichte zu Tracht und Dirndl. Dass auch Kleinkriminelle helfen können, Licht ins Dunkel zu bringen, mag man kaum glauben. Dabei sind Steckzettel oder Steckbriefe ein durchaus nützliches Mittel, um klüger zu werden. Steckzettel, polizeilich amtliche Beschreibungen also, geben nämlich Auskunft darüber, was so in den Kästen oder Truhen der Leute und den Läden der Krämer an Kleidern und Stoffen gelegen hatte, und dann gestohlen wurde. Dem Fürstlich-Auersbergschen Archiv zu Losensteinleithen im Österreichischen Staatsarchiv, auf das mich dankenswerterweise die Mitarbeiterinnen im Haus- und Hofarchiv hingewiesen haben, entnehmen wir beispielsweise eine Reihe kleinkrimineller Vorkommnisse. Eine Episode daraus vernimmt sich so: Die Verdächtige Maria Franziska Dichtl aus Böhmen sei stets fesch und adrett angezogen gewesen, sie hätte schöne weiß Zähne gehabt, wie im Steckbrief vermerkt ist, aber sie hätte der Frau Elisabeth Kohlbauer nebest einer schwere[n] silberne[n] Halskette, noch ein Lilafarbenes seidenes Halstuch mit geknüpften Fransen, ein schwarz seidenes Gradltuch, ein schwarzseidenes Fürtuch mit einem Muster aus drei Blättern, ein lichtblau gestreiftes kattunenes Fürtuch gestohlen.2 Maria Franziska Dichtl verhilft uns mit ihrer Untat zu einem Blick in den Kleiderschrank der Frau Kohlbauer. Lila Seide mit Fransen für den Hals, eine mit Blüten bestickte schwarze Seidenschürze und eine hellblaue Baumwollschürze zeugen nun nicht von Armut und einer Beschränkung auf Loden und Leinen. Zehn Jahre nach 1848, nach der bürgerlichen Revolution in Europa also, schienen Samt und Seide auch in ländlichen Haushalten getragen, die absolutistischen Kleiderregeln längst überwunden. Bemühen wir daraus noch einen weiteren Fall, so erlangen wir Einblick, was in der Salzburger Gegend in so manchem Schrank lag. Ein schwarzmanchesterner Schalk, voren mit 10 silbernen Batzenknöpfe in zwey Reihen, an jedem Aermel mit I, und an der Rückseite mit 2 solchen, auf jeder Seite mit einer Tasche und inwendig mit weiß barchetenem Futter; ein rothseidenes Leibel mit großen Blumen, schon geflickt, und mit doppeltem Futter, nämlich mit braunem oder schwarzem Kanefaß und mittlerer weißer Bauernleinwand, ein rothseidenes Halstüchel mit gelbgeblümten Dessin gestohlen wurde.3 Zur Erinnerung: Leopold I. hatte ziemlich genau 171 Jahre vorher das Tragen von güldenen, also Messingknöpfen, für niedere Stände verboten. Aber hier wird ein Schalk, eine Weste mit gleich zehn Silberknöpfen, gestohlen. Anhand dieses Diebstahls vermögen wir zu erahnen, wie die Modernisierung und die Demokratisierung sich auch auf dem Lande breit machten. Diese Modernisierung ist es, die nicht ohne Einfluss bleiben wird. Sie ist es, die das Stilempfinden im Menschen, im Individuum weckt und ihm am Ende zum Vorrecht verhilft, ihr verdanken wir die Freiheit zur individuellen Gestaltung. Die Ungleichheit der Gesellschaft ist es, die sich am äußeren Erscheinungsbild der Menschen zeigt – sprich in der Kleidung. Daher leuchtete es ein, dass die Kleiderfrage Teil revolutionärer Debatten war und wir die Französische Revolution als so was wie ein Gründungsdatum der Kleidergeschichte berücksichtigen müssen. Mit ihr rückte die Arme-Leute-Kleidung in den Fokus. Die gesellschaftspolitische Bedeutung von Kleidung veranlasste den Marquis de Mirabeau (1749–1791), einen der Revolutionäre Frankreichs, dies in der Nationalversammlung zur Sprache zu bringen. So kam es, dass die Französische Revolution 1789 mit großer Signalwirkung den Kleiderordnungen ex cathedra ein Ende setzte. Der Disput um die Mode, der bisher beschränkt auf geschmackliche und hygienische Dispute im adeligen und bürgerlichen Milieu blieb, erweiterte sich um eine politische Dimension, die für niemanden folgenlos blieb, besonders aber für die Kleider- und Modehersteller Veränderungen mit sich brachte. Die symbolische, repräsentative Geltung von Kleidung erlangte über diesen Weg einen neuen Nimbus. Revolutionäre wie Maximilien de Robespierre (1758–1794) trugen Kleidung, die auf ihre Geisteshaltung verweisen sollte, auf einen Sinn, den sie gleichnishaft personifiziert wissen wollten. Sie trugen zum Zeichen der Freiheit Westen in den Farben der Trikolore, die versehen mit revolutionären Symbolen oder gar Sprüchen waren. Die Französische Revolution 1789 – und in ihrer Nachfolge die 1848er-Revolten – läuteten das Zeitalter der Freiheit zur bürgerlichen Mode ein. Diese Revolten schufen erst die Voraussetzung, auch dem vernachlässigten Landvolk in seiner derb-groben Erscheinung Aufmerksamkeit zu schenken, denn wie ein Österreicher namens Adolf Loos (1870–1933) 1898 etwas mehr...


Elsbeth Wallnöfer ist Ethnologin und Philosophin. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Tracht. Unermüdlich kritisiert sie den unreflektierten Umgang mit Althergebrachtem. Ihre Kommentare erscheinen u. a. in den Tageszeitungen DER STANDARD, KURIER und FALTER. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter das Buch "Heimat. Ein Vorschlag zur Güte" (Haymon 2019), in dem sie den Begriff "Heimat" durchleuchtet und neu denkt.



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