E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Webb / Tucson Die Suche nach Sinn
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-456-75977-7
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Intelligenz im Spannungsfeld von Idealismus, Desillusionierung und Hoffnung
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-456-75977-7
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Intelligente, wissbegierige Idealisten sehen sich häufig mit schmerzvollen Enttäuschungen und quälenden Sinnfragen konfrontiert. Die Suche nach Antworten kann zu einer existenziellen Depression führen. Dieses Buch hilft Betroffenen dabei, sich selbst und ihr Denken zu verstehen, und es zeigt Strategien auf, wie sie ihre Desillusionierung bewältigen und ihren Idealismus in positive, sinnstiftende und erfüllende Bahnen lenken können. •Woher kommt Idealismus?
• Neugierige, intelligente Menschen wollen mehr wissen
• Desillusionierung und Depression
• Bewusstheit und Akzeptanz
• Ungesunde und gesunde Coping-Strategien im Umgang mit Illusionen
• Hoffnung, Glück und Zufriedenheit
• „Eine tiefgründige und einfühlsame Analyse eines wichtigen, häufig unterschätzten Themas. Dieses Buch ist eine hervorragende Ressource für alle hochbegabten Individuen und die Fachleute, die mit ihnen arbeiten.“ Jerald Grobman, M. D., Psychiatrist and Senior Supervisor of Psychology Interns at Lenox Hill Hospital: Private Practice. New York City
Zielgruppe
Hochbegabte, Psychoplogen, Psychiater
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
|11|Einführung
Während ich an diesem Buch arbeitete, wurde mir klar, dass ich damit gewissermaßen in Vorleistung ging, um eine sehr alte Schuld zu begleichen. Als ich mein Studium am College begann, teilte ich das Zimmer mit einem Kommilitonen, der deutlich älter war als die meisten Studenten, nämlich Mitte dreißig. Da er vor dem Studium beim Militär gewesen war, besaß er viel mehr Lebenserfahrung als ich und war auch um einiges aufgeschlossener, was unterschiedliche Kulturen, Menschen und Lebensentwürfe betraf. Er war ein nachdenklicher Agnostiker. Ich dagegen war im tiefen Süden der Vereinigten Staaten aufgewachsen, in einer konservativen, weitgehend abgeschotteten Kultur mit festen Überzeugungen und entsprechend geringer Toleranz. Meine liebevollen Eltern waren auf traditionelle Weise religiös und lebten ein angepasstes, rechtschaffenes und konventionelles Leben. Mein Vater, ein angesehener Zahnarzt, hatte es zu Wohlstand gebracht, und an den Sonntagen ging die Familie gemeinsam in die Kirche. Ich selbst war in der Jugendgruppe der Kirchengemeinde aktiv und unterrichtete sogar in der Sonntagsschule. Bevor ich aufs College kam, war ich stets der Auffassung gewesen, dass die Lebensweise meiner Familie die richtige war, dass unser Leben so war, wie es sein sollte, und dass unsere Werte, Verhaltensweisen und Weltanschauungen gewissermaßen das gesellschaftliche Nonplusultra waren. Mein Mitbewohner, dem ich rückblickend zu großem Dank verpflichtet bin, hörte geduldig zu, wenn ich versuchte, ihn von der Richtigkeit meiner beschränkten und traditionellen Ansichten zu überzeugen, und wenn ich Passagen aus der Bibel zitierte, stellte er mir kluge Fragen, die mich dazu bewegten, alte Gewissheiten aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Er sprach mit mir über unterschiedliche Kulturen und die Traditionen verschiedener Gesellschaften und religiöser Gruppierungen und machte mich darauf aufmerksam, dass alle diese Gruppen ihren Lebensentwurf für richtig hielten. Er führte mir die Willkür, die narzisstischen Selbsttäuschungen und die Überheblichkeit im Denken vieler Menschen – mich eingeschlossen – vor Augen. Er gab mir Voltaires Candide zu lesen und führte mich an Philosophen wie Sartre, Nietzsche und Kierkegaard heran. Das alles war ein Schock für mich, denn bis zu jenem Zeitpunkt war ich davon ausgegangen, dass ich die Welt ganz gut verstanden hatte. Aber jetzt wurde mir allmählich klar, dass es keine absoluten Regeln für ein „gutes“ Leben gab und dass die Art und Weise, wie jemand sein Leben lebte, auch vollkommen sinnlos sein konnte. Die wohlwollenden Denkanstöße meines Mitbewohners brachten mein Weltbild ins Wanken, was starke und unangenehme Empfindungen bei mir hervorrief. Am liebsten hätte ich diese neuen Ideen einfach |12|ignoriert, aber nun, da ich mit ihnen in Berührung gekommen war, ließen sie mich nicht mehr los. Ich fing an zu denken. In den Seminaren wurde ich zudem mit den Arbeiten einiger großer existenzieller Theologen konfrontiert – Paul Tillich (Protestant), Jacques Maritain (Katholik), Martin Buber (Jude), James Pike (Protestant) und Alan Watts (Zen-Buddhist) –, die alle versuchten, das Leben aus religiöser Sicht zu ergründen. Je mehr ich lernte, desto stärker wurde mir bewusst, wie verlogen und heuchlerisch das Leben vieler Menschen um mich herum war. Das idyllisch anmutende Leben meiner Eltern erschien mir mit einem Mal wie eine Farce, ein Sammelsurium von Illusionen, die sich allesamt auf althergebrachten Traditionen und Ritualen gründeten und nur darauf ausgerichtet waren, die Fassade und das gesellschaftliche Ansehen zu wahren. Außerdem wurde mir klar, dass ich mich selbst getäuscht hatte, indem ich diese Überzeugungen und Verhaltensweisen übernommen hatte. Mein Idealismus wurde auf eine harte Probe gestellt. Ich kam mir vor wie ein Betrüger und fühlte mich zugleich selbst betrogen von der unkritischen Selbstgerechtigkeit meiner Eltern, Lehrer, Pfadfinderführer, Seelsorger und all jener, die mir gesagt hatten, wie ich leben sollte. Ich verlor den Halt und wurde depressiv, während ich immer tiefer in einem Sumpf aus Zweifeln, Wut und Enttäuschung versank. Glücklicherweise nahm sich ein gütiger und fürsorglicher College-Professor meiner an und gab mir die Gelegenheit, über meine Angst und Desillusionierung zu sprechen – andernfalls wäre ich wahrscheinlich implodiert. Dank dieses Professors, der mir in gewisser Weise das Leben gerettet hat, lernte ich allmählich, meine Unzufriedenheit, innere Leere und Depression so zu kanalisieren, dass sie für mich und nicht gegen mich arbeiteten. Ich wechselte zu Psychologie als Hauptfach und erkannte, dass viele Menschen vor mir – jedenfalls viele grüblerische Idealisten – im Laufe der Jahrhunderte mit ähnlichen existenziellen Fragen gerungen hatten. Später wurde mir bewusst, dass viele junge Leute, aber auch Erwachsene, die gleichen Erfahrungen machen und genauso darunter leiden wie ich damals auf dem College. Ich bin meinem damaligen Mitbewohner und dem Professor zu großem Dank verpflichtet. Ohne es zu ahnen, haben diese beiden Menschen mein privates und berufliches Leben in vielerlei Hinsicht beeinflusst. Manch einer wird sich fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn mein Mitbewohner mir meine Illusionen gelassen und mir dadurch den Schmerz der Desillusionierung erspart hätte. Schließlich ist Unwissenheit ein Segen, heißt es. Allerdings wäre ich diesen Fragen im Laufe meines Studiums oder meines Lebens ohnehin begegnet, und vielleicht hätte ich dann nicht das Glück gehabt, einen unterstützenden Freund und einen geduldigen, mitfühlenden Lehrer an meiner Seite zu haben, die mir halfen, mit meinen Ängsten und Zweifeln zurechtzukommen. Viele Menschen müssen diesen Prozess ganz allein durchstehen, was gewiss um einiges härter ist. Vielleicht trifft das auch auf Sie |13|zu. Mit diesem Buch möchte ich Sie bei Ihrer eigenen Sinnsuche und Selbstentdeckung begleiten und hoffe, Ihnen damit eine verständnisvolle, mitfühlende Stimme mit auf den Weg zu geben, die Ihnen dabei hilft, die aufreibenden Unwägbarkeiten besser zu bewältigen. Sich seiner selbst bewusst zu werden und über die eigene Existenz nachzudenken, kann eine große Herausforderung sein, und es ist ausgesprochen schwierig, in einer derart komplexen und in vielerlei Hinsicht enttäuschenden Welt nicht die Hoffnung zu verlieren. Wohin man auch schaut, überall gibt es Grund zur Desillusionierung. So viele Menschen scheinen von ihrer Familie und ihren Freunden entfremdet zu sein: Sie führen eine unglückliche Ehe; ihre Arbeit ist nicht erfüllend; ihre Kinder sind eine Enttäuschung; sie hegen ein zynisches Misstrauen gegenüber der Politik; sie glauben, dass die Gesellschaft auseinanderfällt; sie fühlen sich machtlos, allein und innerlich leer; sie fragen sich, ob ihr Leben überhaupt irgendeinen Sinn hat. Trotz ihrer Desillusionierung wollen sich die meisten von ihnen aber nicht mit dem eigenen Dasein und der Welt um sie herum befassen, was ich gut verstehen kann. Schließlich ist es keineswegs einfach, sich in diese Abgründe zu begeben, und manchmal ist diese Auseinandersetzung sogar ausgesprochen schmerzvoll. Es erscheint einfacher, diesen Schritt nicht zu tun und sich stattdessen noch mehr zu bemühen, den Alltag irgendwie zu meistern, obwohl das überwältigende Gefühl der Sinnlosigkeit bestehen bleibt. Und wenn man dann doch einmal versucht, den Ursachen von Unzufriedenheit und Depression auf den Grund zu gehen, stellt sich rasch ein tiefes Unbehagen ein. Um dem zu entgehen, werden neue Illusionen geschaffen, die nur dazu dienen, die alten, an denen man schon so lange festhält, zu stärken, obwohl sie sich längst als unwirksam erwiesen haben. Bestimmte Ereignisse zwingen uns regelmäßig dazu, unser eigenes Leben und das der anderen unter die Lupe zu nehmen, und viele Menschen werden dadurch immer wieder auf dieselben Fragen zurückgeworfen, ohne sie je zu beantworten. Dieser Konflikt zwischen Annäherung und Vermeidung ist nichts Ungewöhnliches. Daher verstehe ich, wenn Sie dieses Buch zwischendurch aus der Hand legen und die Lektüre nach einer gewissen „Verschnaufpause“ wieder aufnehmen. Da wir es mit einem beängstigenden Thema zu tun haben, möchte ich kurz den Aufbau dieses Buches skizzieren, damit Sie selbst entscheiden können, mit welchen Aspekten Sie beginnen möchten. Vielleicht ist es Ihnen lieber, den mittleren Teil, der sich mit philosophischen und...