E-Book, Deutsch, 147 Seiten
Weber Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland
2. Auflage (Neusatz auf Basis der Ausgabe von 1918) 2011
ISBN: 978-3-428-53512-5
Verlag: Duncker & Humblot
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens
E-Book, Deutsch, 147 Seiten
ISBN: 978-3-428-53512-5
Verlag: Duncker & Humblot
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'Der Verfasser, der vor bald drei Jahrzehnten konservativ wählte und später demokratisch, [.] ist weder aktiver Politiker, noch wird er es sein. Er verfügt – auch das sei vorsichtshalber bemerkt – über keinerlei Beziehungen gleichviel welcher Art zu irgendwelchen deutschen Staatsmännern. [.] Er hat seinen politischen Standpunkt so wie jetzt gewählt deshalb, weil die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte ihn seit langem zu der festen Überzeugung gebracht hatten: daß die bisherige Art der staatlichen Willensbildung und des politischen Betriebes bei uns jede deutsche Politik, gleichviel welches ihre Ziele seien, zum Scheitern verurteilen müsse [.].' (Aus der Vorbemerkung des Verfassers)
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Weitere Infos & Material
I. Die Erbschaft Bismarcks
II. Beamtenherrschaft und politisches Führertum
III. Verwaltungsöffentlichkeit und Auslese der politischen Führer
IV. Die Beamtenherrschaft in der auswärtigen Politik
V. Parlamentarisierung und Demokratisierung
VI. Parlamentarisierung und Föderalismus
V. Parlamentarisierung und Demokratisierung (S. 87-88)
Nicht das Problem der sozialen Demokratisierung, sondern nur dasjenige des demokratischen, also des gleichen, Wahlrechts soll uns hier in seiner Beziehung zum Parlamentarismus angehen. Und auch nicht die Frage, ob es für das Deutsche Reich seinerzeit staatspolitisch ratsam war, dies Wahlrecht unter Bismarcks scharfem Druck einzuführen, wird erörtert. Sondern dieser Tatbestand wird hier als fest gegeben und ohne furchtbare Erschütterungen nicht rückgängig zu machen, vorbehaltlos angenommen und nur gefragt: wie sich die Parlamentarisierung zu diesem demokratischen Wahlrecht verhält. Parlamentarisierung und Demokratisierung stehen durchaus nicht notwendig in Wechselbeziehung, sondern oft im Gegensatz zueinander.
Man hat neuerdings sogar nicht selten geglaubt: in notwendigem Gegensatz. Denn wirklicher Parlamentarismus sei nur bei einem Zweiparteiensystem und dies nur bei einer aristokratischen Honoratiorenherrschaft innerhalb der Parteien möglich. Der althistorische Parlamentarismus Englands war in der Tat, seinem ständischen Ursprung gemäß, auch nach der Reformbill und bis in den Krieg hinein, nicht wirklich in kontinentalem Sinn „demokratisch“. Schon im Wahlrecht. Der Wohnungszensus und die tatsächlichen Mehrheitsstimmrechte hatten immerhin eine solche Tragweite, daß bei Übernahme auf unsere Verhältnisse wohl nur die Hälfte der jetzigen Sozialdemokraten und auch bedeutend weniger Zentrumsabgeordnete als jetzt im Reichstag sitzen würden. (Allerdings fällt dafür die Rolle der Iren im englischen Parlament bei uns fort.)
Und bis zu Chamberlains Caucussystem waren beide Parteien durchaus von Honoratiorenklubs beherrscht. Falls jetzt wirklich die zuerst in Cromwells Heerlager von den Levellers erhobene Forderung des universellen Einstimmrechts und sogar des (vorerst begrenzten) Frauenstimmrechts durchgeführt wird, so muß der Charakter des englischen Parlaments sich sicherlich stark ändern. Das Zweiparteiensystem, schon durch die Iren durchlöchert, wird mit Anwachsen der Sozialisten weiter zerfallen und die Bureaukratisierung der Parteien noch weiter fortschreiten.
– Das bekannte spanische Zweiparteiensystem, beruhend auf der festen Konvention der Parteihonoratioren, daß die Wahlen im Sinn eines periodischen Wechsels der beiderseitigen Amtreflektanten in der Macht erledigt werden, scheint soeben dem ersten Anlauf zu ernstlichen Wahlen zu erliegen. Aber werden solche Änderungen den Parlamentarismus beseitigen? Der Bestand und die formale Machtstellung der Parlamente ist durch Wahlrechtsdemokratie an sich nicht bedroht. Das zeigen Frankreich und andere Staaten mit gleichem Wahlrecht, wo die Ministerien durchweg aus den Parlamenten hervorgehen und sich auf deren Mehrheiten stützen. Aber freilich ist der Geist des französischen Parlaments ein sehr anderer als der des englischen.
Nur ist gerade Frankreich kein Land, an welchem man die typischen Folgen der Demokratie für den Parlamentarismus studieren könnte. Der stark kleinbürgerliche und vor allem: KleinrentnerCharakter seiner stabilen Bevölkerung schafft Bedingungen für eine spezifische Art von Honoratiorenherrschaft in den Parteien und einen besondersartigen Einfluß der haute finance, wie sie unter den Verhältnissen eines vorwiegenden Industriestaats nicht bestehen. Die französische Parteistruktur ist in einem solchen ebenso undenkbar, wie allerdings auch das historische Zweiparteiensystem Englands.