Wekwerth | Erinnern ist Leben | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 400 Seiten

Wekwerth Erinnern ist Leben

Eine dramatische Autobiografie
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-355-50016-6
Verlag: Neues Leben
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)

Eine dramatische Autobiografie

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

ISBN: 978-3-355-50016-6
Verlag: Neues Leben
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Manfred Wekwerth hat in seinem Leben viel gesehen, viel gearbeitet, viel bewegt. Er war auf den Bühnen Berlins und Europas unterwegs, inszenierte wichtige Stücke, ging produktive und streitbare Arbeitsbündnisse ein, verkehrte mit den Großen aus Kunst und Kultur. Seine Biografie ist eine Mentalitätsstudie, wesentlich von der politischen Teilung der Welt geprägt. Der Theaterregisseur entwirft ein intellektuelles Panorama der Jahre 1950 bis 2000. Es versteht sich, dass sein Lehrmeister Brecht darin einen zentralen Platz einnimmt, aber auch Schauspieler und Theaterleute wie Harry Buckwitz, Therese Giehse, Anthony Hopkins, Helmut Lohner, Hilmar Thate, Laurence Olivier oder Giorgio Strehler gewinnen eindrucksvoll Konturen, desgleichen maßgebliche Bühnenautoren wie Volker Braun, Heinar Kipphardt, Heiner Müller oder Peter Weiss.
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Personalien Name und Vorname? Weckwerth, Manfred. Wieso Weckwerth mit »ck«? Schuld der Hebamme meines Urgroßvaters. Sie schrieb aus Versehen ein »ck« in die Geburtsanmeldung. Meinen Urgroßvater, ein Bierbrauer aus Posen, störte das nicht, und so blieb es beim »ck«. Meine Mutter und ich mochten das »ck« von Anfang an nicht, hatten aber nicht das Geld wie Onkel Richard, der es gesetzlich in allen Kirchenbüchern und Geburtsregistern ändern ließ. So konnte man die reichen und armen Wekwerths schon am »k« oder »ck« erkennen. Bis meine Mutter und ich uns kurzentschlossen wieder »Wekwerth« nannten. Meine Frau und meine Tochter halten sich an die Gesetze und schreiben sich mit »ck«. Ich tue es nur wie hier in amtlichen Personalien. Geboren? Am 3. Dezember 1929. Geburtsort? Köthen/Anhalt. Früher Coethen. Im Volksmund Kuhköthen. Familienstand? Verheiratet. Wann und mit wem? 1953 mit Renate (Erre) Wekwerth, geborene Meiners, Journalistin. 1963 mit Renate (Reno) Weckwerth, geborene Richter, Schauspielerin. Nachkommen? Eine Tochter. Christine Weckwerth, geboren am 24. Dezember 1963, Philosophin, Dr. phil., und eine Enkelin, Helene. Benannt nach Helene Weigel? Nein. Nach Helene Wekwerth, meiner Mutter. Elternteile? Meinen Vater kenne ich nicht persönlich. Ich bin bei der Mutter aufgewachsen. Name der Mutter? Wekwerth, Helene, geborene Rypholz. Tätigkeit der Mutter? Hausfrau, Telefonistin, Küchenhilfe. Familienstand? Verheiratet. Mit wem verheiratet? Mit meinem Vater. Name des Vaters? Weckwerth, Karl. Tätigkeit des Vaters? Matrose, Maschinisten-Maat, Eichmeister. Lebte seit meiner Geburt von meiner Mutter getrennt. Grund der Trennung? Behielt nach seiner Entlassung aus der Marine Matrosenbräuche bei und betrachtete sein ferneres Leben als Landgang. Das ergab mehrere Frauen. Die Trennung ging von Ihrer Mutter aus? Im Gegenteil, meine Mutter hing an meinem Vater. Wahrscheinlich hat sie nie im Leben einen anderen Mann gehabt und verteidigte ihn noch, als er meine Abtreibung verlangte und ihr unmittelbar vor meiner Geburt schrieb: »Und wenn das Kind ohne Kopf geboren wird, ist es mir auch egal.« Die Ehe wurde gegen den Willen meiner Mutter 1939 in Ravensburg geschieden, mein Vater wurde zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet. Er zahlte monatlich zwanzig Mark, die er aber während des Krieges aussetzte, da er – nun Marineoffizier – nur dem Vaterland verpflichtet sei. Sie kannten Ihren Vater nicht persönlich? Ich sah ihn einmal durch den Spalt der Tür zum Gerichtssaal, wo die Ehe geschieden wurde. Er weigerte sich vor Gericht, mich zu sehen. Gegen Ende des Krieges bekam ich Briefe von ihm, in denen er mich aufforderte, ein guter Nationalsozialist zu werden und die Offizierslaufbahn einzuschlagen. Den letzten Brief erhielt ich 1947, nachdem ich den Wunsch geäußert hatte, Schauspieler zu werden. In ihm erfuhr ich von meiner Verstoßung, das heißt, die 20 Mark wurden nicht mehr gezahlt. Wovon bestritt Ihre Mutter den Unterhalt? Von der Rente meiner Großmutter, bei der wir wohnten. Die Miete war billig, sie betrug achtzehn Mark im Vierteljahr, allerdings gab es kein WC und keinen Wasseranschluß, die befanden sich Parterre bei den Wirtsleuten. Eine große Hilfe waren Erkenntlichkeiten meiner Tante Leni, die ein gutgehendes Restaurant »Siechenbräu« betrieb und die mit Lebensmitteln und Geschenken aushalf. Und es wurde gespart. Das Wohnzimmer wurde im Winter oft nur durch die geöffnete Tür des eisernen Ofens beleuchtet. Während des Krieges arbeitete meine Mutter als Telefonistin bei Junkers. Nach dem Krieg als Küchenhilfe im Restaurant meiner Tante, mit geringem Gehalt, aber Freikost für sie und für mich. Die zwanzig Mark von meinem Vater verwendete meine Mutter als Schulgeld für die Oberschule, die ich auf ihren Wunsch hin besuchte. Nach 1945 entfiel das Schulgeld, dafür erhöhten sich die Preise auf dem schwarzen Markt. Der Versuch meiner Mutter zu schieben, scheiterte am Fahrkartenschalter des Bahnhofes, wo die fünf Speiseölflaschen, die sie nach Zerbst verschieben wollte, durch die Ungeschicklichkeit eines Reisenden am Boden zerschellten. Schildern Sie Ihren Bildungsweg. Grundschule, Mittelschule, Oberschule. Abitur 1948, allerdings erst nach einer Petition meiner Mutter an die Landesregierung, da ich wegen »moralischer Unreife« nicht zum Abitur zugelassen werden sollte. Gab es dafür eine gesetzliche Handhabe? Nein. Deshalb mußte ich letzten Endes zugelassen werden, nachdem meine Mutter in vier Briefen der Landesregierung ihre Lage schilderte und sich für mich entschuldigte. Die Briefe waren so emotional gehalten, daß eine Bekannte, die viele Jahre im Vorzimmer des Oberbürgermeisters gesessen hatte, helfen mußte, sie in Amtsdeutsch abzufassen. Die Briefe zeitigten Wirkung, allerdings nur auf die Landesregierung, nicht auf die Lehrer. Wer waren Ihre Lehrer? Unser Oberstudiendirektor während des Krieges war im Range eines Bannführers der Hitler-Jugend und hieß Sannemann. Als mein Schulfreund Gerhard Neumann und ich uns weigerten, täglich mindestens fünf Kilo Altmetall mit in die Schule zu bringen und mein Freund, von Saunemann zur Rede gestellt, antwortete, »Ich halte das für Firlefanz«, wurde er sofort in ein KLV (Kinderlandverschickungs)-Lager abkommandiert, ich als Turmbeobachter auf den Köthener Rathausturm. Wenn bei Fliegeralarm die Leute in die Luftschutzkeller gingen, hatte ich feindliche Flugzeuge zu zählen. Nach dem Krieg hieß unser Oberstudiendirektor Liebetruth, ein Erster-Weltkriegs-Leutnant, der noch 1917 ein Bein verloren hatte. Ernst Jünger liebte er über alles, Adolf Hitler überhaupt nicht. Seine erzieherischen Grundsätze leitete er von »deutscher Sauberkeit und Disziplin« ab, »bellum gallicum« würzte er, der auch unser Lateinlehrer war, mit Geschichten aus dem Ersten Weltkrieg, die er durch Granateinschläge, mit gespitzten Lippen pfeifend und mit flacher Hand auf das Katheder schlagend, plastisch auferstehen ließ. Nach seiner Auffassung hatte ich es kurz vor dem Abitur wegen eines »Vorkommnisses« bei ihm »moralisch verschissen«. Zu Unrecht? Ich glaube nicht. Ich war unverschämt, herausfordernd und demonstrativ faul. Von heute gesehen hing das sicher mit der Nazizeit zusammen. Man mußte sich nach soviel Unterordnung exponieren. Durch Übertreibung ein Gegengewicht zur entstandenen Leere schaffen. Sich behaupten gegen lähmende Orientierungslosigkeit, die man als ungehemmte Freiheit umdeutete. So entwickelte sich eine Art »Nachkriegsaufsässigkeit«, die alles andere als rebellisch war. Sie war die Kehrseite des Gehorsams. Da ich später für kurze Zeit Lehrer war, hätte ich mich nicht als Schüler haben wollen. Nicht nur wegen der schlechten Zensuren. Ich hatte eine 5 in Betragen, dafür in Mathematik und Physik eine 1. Ansonsten war meine Lebensregel: Wenn du schon nicht der Erste sein kannst, dann sei wenigstens der Letzte. Was war das für ein »Vorkommnis«? Nach dem Krieg brach bei den »Davongekommenen« eine Vergnügenssucht aus, die sich hauptsächlich als Tanzwut äußerte. Wir ließen uns aus Bettlaken weiße Jacken schneidern und breite Mäntel aus Schlafdecken. Ich besaß einen Hut namens Homburg. So ging man so oft wie möglich, mindestens aber sonnabends und sonntags tanzen, und zwar in überfüllten Schuppen mit Namen »Sankt Hubertus« oder »Osterköthen«. Dort kostete die Amizigarette acht Mark, die Flasche Schnaps dreihundertundfünfzig bis vierhundert Mark, das Korkengeld für eine mitgebrachte Flasche mindestens fünfzig Mark. Bei solchen Investitionen war es natürlich unmöglich, rechtzeitig aufzuhören. Die Musiker waren nur zu gern bestechlich mit Lokalrunden und »Aktiven«, das waren Zigaretten, die nicht selbst gedreht wurden, und so verlängerte man die Polizeistunde, manchmal unter den Augen der Polizei, weit über Mitternacht hinaus. Die Folge ergab sich Montag früh von selbst: Müdigkeit und Schuleschwänzen aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Das ging meistens auch gut. Ich hatte einen Adepten aus der Unterstufe, der bereitwillig meine Entschuldigungszettel zum Klassenlehrer trug. Der war zwar mißtrauisch, konnte aber nichts beweisen, die Entschuldigungszettel waren echt, meine Mutter hatte sie unterschrieben. Es war allerdings immer derselbe. Nach Gebrauch entnahm ich ihn unbemerkt dem Klassenbuch und für das nächste Mal hatte ich nur das Datum zu korrigieren. Einmal jedoch ging es schief. Ein Mitschüler hatte mich, wahrscheinlich wegen eines Mädchens, das ich ihm beim Tanzen ausgespannt hatte, denunziert. Schon am nächsten Morgen, es war der Dienstag, stand ich vor dem versammelten Lehrerkollegium. Die erste Frage: »Was wollen Sie überhaupt einmal werden?« Meine Antwort: »Theologe.« (Das war nicht einmal ganz falsch. Ich ging zu dieser Zeit jeden Donnerstag in eine Runde bei Pfarrer Karl Hüllweck. Er predigte in Sankt Jakob, war aber insgeheim Existentialist. Bei ihm lasen wir Kierkegaards Krankheit zum Tode und spielten unter seiner Leitung sein Totentanzspiel Der todesmüde...


Manfred Wekwerth (1929-2014) war einer der bekanntesten Theaterregisseure Berlins. Als Schüler und enger Mitarbeiter Bertolt Brechts wurde er vom Schaffen des großen Dramatikers entscheidend geprägt. Wekwerth hatte über viele Jahre die Stelle des Intendanten am Berliner Ensemble inne. Zudem war er ein Jahrzehnt lang Präsident der Akademie der Künste.



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