Wersin / Schoppmann | Selbstverletzendes Verhalten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Reihe: Balance Ratgeber

Wersin / Schoppmann Selbstverletzendes Verhalten

Wie Sie Jugendliche unterstützen können
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-86739-951-7
Verlag: BALANCE Buch + Medien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie Sie Jugendliche unterstützen können

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Reihe: Balance Ratgeber

ISBN: 978-3-86739-951-7
Verlag: BALANCE Buch + Medien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Ein Buch wie dieses, das gezielt Eltern, Lehrerinnen, psychosoziale Fachkräfte und andere in der Jugendarbeit Tätige anspricht, ihnen einen kurzen theoretischen Überblick und viel praktische Handlungsanleitungen bietet, ist von immenser praktischer Relevanz und wird hoffentlich eine breite Leserschaft finden.'

Diplom-Psychologe Dr. Marc Schmid, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel

Wenn Jugendliche sich selbst verletzen, ist das Befremden und Unverständnis im Umfeld groß. Ratlosigkeit, Scham und Schuldgefühle kulminieren oft in hilflosen Verboten und stärkerer Kontrolle. Für einen hilfreichen Umgang mit diesem Phänomen ist aber gerade die Beachtung der Autonomie der Jugendlichen genauso wichtig wie Gesprächsbereitschaft und Zuhören.

Dieses Buch zeigt, wann man eingreifen sollte und darf, wie man helfen kann, aber auch, wie man sich selbst schützt und abgrenzt.

Wersin / Schoppmann Selbstverletzendes Verhalten jetzt bestellen!

Zielgruppe


Empfehlenswert für alle, die mit Selbstverletzendem Verhalten in Kontakt kommen: Angehörige und Freund*innen, Pädagog*innen, Mitarbeiter*innen in der Jugendhilfe und in Beratungsstellen.

Weitere Infos & Material


Geleitwort 8
Annäherung an ein heikles Thema 11
Gefühlschaos bei Eltern 14
Auswirkungen auf die ganze Familie 16
Informationsmangel in Schulen und Jugendtreffs 19
Ängste und Vorurteile 22
Vereinfachungen und Einstellungen 23
Wenn Stereotype zu Ausgrenzung führen 24
Verinnerlichung der zugeschriebenen Merkmale 28
Stereotype infrage stellen und ersetzen 30
Was ist Selbstverletzendes Verhalten? 34
Ist Selbstverletzendes Verhalten eine Krankheit oder ein Symptom? 35
Diagnose 'nichtsuizidales Selbstverletzendes Verhalten' 37
Suizidgedanken oder -absichten 41
Wie viele Jugendliche verletzen sich selbst? 45
Schwierigkeiten im Umgang mit Emotionen 47
Erleben von Stress 48
Kohärenzgefühl 50
Wer braucht welche Hilfe und wann? 55
Rituale und Körperschmuck – kulturelle Aspekte 55
Körpermodifikationen 56
Körperbezogene repetitive Verhaltensstörungen 57
Welche Art von Hilfe wünschen sich betroffene Jugendliche? 61
Reden und Zuhören 63
Verbindung zu anderen Erwachsenen 64
Formale Organisationen 65
Stigma reduzieren und Vertraulichkeit wahren 66
Familiärer Kontext 67
Meine eigene Rolle 69
Wann darf, sollte oder muss ich mich 'einmischen'? 70
Was können Eltern und Familien tun? 73
Zusätzliche Aufgaben von Lehr- und Fachpersonen 75
Institutionelle Maßnahmen 76
Was können Sie selbst tun? 79
Nachahmungseffekte 81
Diskussion: Bedecken oder nicht? 82
Sich selbst Unterstützung suchen 83
Welche Hilfsangebote gibt es? 88
Welche Behandlungsvarianten gibt es? 88
Worum geht es in der Psychotherapie? 90
Was ist bei der Suche nach einem Therapieangebot wichtig? 93
Therapieformen 95
Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) 96
Kognitive Verhaltenstherapie 97
Schematherapie 98
Mentalisierungsbasierte Therapie 99
Pharmakotherapie (Medikamente) 100
Einbezug von Bezugspersonen in die Therapie 100
Selbsthilfe 102
Notfalltelefon 106
(Familien-)Beratungsstellen 107
Kollegiale Beratung und konsiliarische Unterstützung 110
Beratung und Unterstützung: Adressen und Links 112
In der Schweiz 112
Für Erwachsene 112
Für Jugendliche 113
In Deutschland 114
Für Erwachsene 114
Für Jugendliche 115
In Österreich 115
Für Erwachsene 115
Für Jugendliche 116
Selbsthilfe 117
Projekte und Antistigma-Arbeit 118
Zum Nach- oder Weiterlesen 119
Verwendete Literatur 122


Ängste und Vorurteile
Stellen Sie sich einmal die folgende Situation vor: Sie sind die Bezugsperson eines 14-jährigen Mädchens. Sie sind ein Elternteil, ein Lehrer oder die Trainerin des Mädchens im Sportverein. Heute haben Sie zum ersten Mal bemerkt, dass sich das Mädchen selbst verletzt. Was geht in Ihnen vor? Vielleicht fühlen Sie sich schuldig: »Hätte ich doch nur …!«, »Was habe ich nur falsch gemacht?«. Vielleicht haben Sie auch Angst: »Was soll ich nur tun?«, sind wütend: »Wie kann sie mir das antun?« oder traurig: »Hatte sie denn keine andere Möglichkeit?«. All das ist normal! Jeder Mensch, der sich für einen anderen Menschen verantwortlich fühlt und entdeckt, dass dieser sich selbst verletzt, erlebt ein intensives Gefühlschaos. Manchmal führt das sogar dazu, die Entdeckung zu verleugnen: »Ich habe mich bestimmt geirrt!« oder zu bagatellisieren: »Das war doch gar nicht so schlimm, es kommt bestimmt nicht wieder vor«. In jedem Fall ist es wichtig, dass Sie sich mit Ihren Gefühlen auseinandersetzen. Denn unabhängig von Ihrer eigenen Betroffenheit greifen alle Menschen auf ein bestimmtes Denkschema zurück: Sie bewerten Situationen und Erlebnisse aufgrund allgemeingültiger gesellschaftlicher Einstellungen. In diesem Kapitel erkunden wir unsere eigenen Gefühle und Vorurteile im Umgang mit Menschen, die sich selbst verletzen. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf der Entstehung dieser Phänomene, sondern vor allem darauf, wie wir mit Selbstverletzendem Verhalten konstruktiv und hilfreich für die Betroffenen umgehen können. Neben verschiedenen Erklärungsansätzen werden wir auch die Stigmatisierung psychisch erkrankter oder beeinträchtigter Menschen in unserer Gesellschaft betrachten und was diese für die Betroffenen, insbesondere für jugendliche Betroffene, bedeutet. Vereinfachungen und Einstellungen
Kommen wir auf die eingangs geschilderte Situation zurück: Sie entdecken, dass Ihr Kind, Ihr Schüler, Ihre Schülerin oder ein Jugendlicher, für den Sie verantwortlich sind oder mit dem Sie arbeiten, sich selbst verletzt hat. Neben all den verwirrenden Gefühlen, die Sie gerade erleben, versuchen Sie, das Selbstverletzende Verhalten möglichst schnell innerlich einzuordnen, um handlungsfähig zu bleiben. Möglicherweise helfen Ihnen dabei Stereotype: Das sind Einstellungen, die sich auf bestimmte Gruppen von Menschen beziehen. Sie helfen uns, die Welt zu verstehen und schnelle Entscheidungen zu treffen. Nehmen wir zur Verdeutlichung ein Beispiel: EINE ÄLTERE DAME begegnet einem jungen Mann, der viele Tattoos hat und Springerstiefel trägt. Die Dame hat mit diesem jungen Mann noch keine Erfahrungen gemacht, trotzdem bekommt sie sofort Angst und wechselt vielleicht sogar die Straßenseite. Wie kommt das? Sie hat vielleicht in den Medien Berichte über junge Männer gelesen, die sich zu Gangs zusammenschließen und gemeinsam Verbrechen begehen. Im Gespräch mit ihrer Freundin wurde sie bestätigt: Auch diese machte sich aufgrund der Berichterstattung Sorgen und erzählte ihr von einem Überfall auf ein nahe gelegenes Geschäft durch zwei Männer, die genau wie in den Medien tätowiert waren und Springerstiefel trugen. In der alten Dame entstand eine einfache Formel: Junge Männer mit Tätowierungen und Springerstiefeln = Gefahr! Diese Formel soll ihr helfen, sich in schwierigen Situationen zu schützen. Sie kann ja nicht mit jedem Mann, auf den diese Beschreibung passt, zuerst ins Gespräch kommen und fragen, ob dieser wirklich gefährlich ist. Also verlässt sie sich auf das Sprichwort: »Vorsicht ist besser als Nachsicht«, und schon ist ein Stereotyp entstanden. Wenn Stereotype zu Ausgrenzung führen
In vielen westlichen Gesellschaften haben Menschen Schwierigkeiten im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen oder Menschen, deren Verhalten nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Diese lösen Angst, Unsicherheit oder Unbehagen bei ihrem Gegenüber aus. Das zeigt sich z. B. darin, dass psychisch erkrankte Menschen sozial gemieden werden. Besonders ausgeprägt ist das, wenn ihr Gegenüber denkt, dass die Chancen für eine Verbesserung des Zustands schlecht stehen. Zudem herrscht die Einstellung vor, dass sich Menschen mit psychischen Problemen »zusammenreißen« sollten, um gesund zu werden (WOLKENSTEIN 2009). Das zugehörige Stereotyp könnte lauten: »Psychisch Kranke strengen sich einfach nicht genug an.« Was bedeutet das nun in Bezug auf Jugendliche, die sich – in welcher Form auch immer – selbst verletzen? Zunächst könnte es sein, dass Menschen, die mit den Jugendlichen in Berührung kommen, verunsichert sind. Vielleicht haben sie auch Angst, etwas Falsches zu tun. Sie könnten z. B. denken, dass sich die Jugendlichen noch mehr oder schlimmer verletzen, wenn sie sie auf die Verletzungen ansprechen. Eventuell denken sie aber auch, dass die Jugendlichen sich mal »am Riemen reißen« sollten: eine Reaktion der Verärgerung, die sich häufig besser ertragen lässt als Angst oder Unsicherheit. Denn auf diese Weise liegt das Problem bei den Jugendlichen und nicht mehr bei den Menschen, die mit ihnen konfrontiert sind. Eventuell sehen die Menschen aber auch einen Zusammenhang des Selbstverletzenden Verhaltens mit den Umständen, in denen die Jugendlichen aufgewachsen sind. In diesem Fall ist anzunehmen, dass sie sich nicht von den Jugendlichen distanzieren, sondern eher Mitleid empfinden (WOLKENSTEIN 2009). In jedem Fall hat die Einstellung der Menschen einen Einfluss darauf, was ihr Gegenüber erlebt: Die Befürchtungen psychisch erkrankter Menschen, dass in ihrer Abwesenheit abfällig über sie geredet wird, dass sie als weniger kompetent erscheinen oder schlechtere Chancen haben, etwa bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz, sind berechtigt (WOLKENSTEIN 2009). Auch für Jugendliche, die sich selbst verletzen, besteht diese Gefahr der Diskriminierung: Da bei einem jungen Mädchen, das sich an den Armen »ritzt«, später deutliche Narben sichtbar sind, wird ihr Gegenüber auf diese Narben entsprechend seiner inneren Einstellung reagieren. Menschen, die diskriminierende Erfahrungen gemacht haben, fragen danach weniger um Hilfe (WOLKENSTEIN 2009): Sie kommen daher weniger in Kontakt mit hilfreichen Therapien oder Angeboten. Besonders fatal ist in diesem Zusammenhang, dass auch die Hilfe- und Unterstützungssysteme nicht frei von Stigmatisierung sind. Dies liegt nicht nur an einzelnen Personen, die durch unbedachte oder wenig reflektierte Äußerungen zu einer Stigmatisierung psychisch Erkrankter beitragen, sondern auch am Gesamtsystem: Die medizinischen Diagnosen selbst konzentrieren sich auf Symptome, Defizite und das Nichtfunktionieren (HUCK 2010). Der Mensch mit all seinen anderen Anteilen findet darin keine Berücksichtigung. Auch gibt es bestimmte Diagnosen, vor denen einige Kliniken aufgrund dieser Dynamiken zurückschrecken. Nehmen wir an, jemand hat sich das Bein gebrochen: Die medizinische Diagnose ist schnell gestellt. Das Bein versagt seinen vorgesehenen Dienst. Ob derjenige aber trotzdem seiner Arbeit nachgehen kann, weil er z. B. einen Job am Schreibtisch hat, oder ob er wie gewohnt am Abend für seine Kinder kochen und sie zu Bett bringen kann, weil die Wohnung ebenerdig ist und er sich auch mit dem Gips gut darin bewegen kann, ist nirgendwo erwähnt. Eine andere Person mit gleicher Diagnose wäre vielleicht nicht mehr in der Lage, arbeiten zu gehen, wenn sie als Pflegefachperson in einem Altersheim tätig ist und dort den ganzen Tag für die Versorgung der alten Menschen auf den Beinen sein muss. Und wieder eine andere Person wäre nicht in der Lage, ihre Körperpflege durchzuführen, weil sie zum Erreichen des Bads eine Treppe hinaufsteigen muss, die mit dem Gipsbein nicht zu bewältigen ist. Eine medizinische Diagnose sagt also über den Menschen, seine Fähigkeiten und seine mögliche Teilhabe am Leben nichts aus. Warum kann diese Tatsache stigmatisierend sein? Stellen Sie sich weiter vor, der Arzt, der die Diagnose gestellt hat, entscheidet über die weitere Behandlung. Er verschreibt also Physiotherapie und stellt eine Krankmeldung für den Arbeitgeber des Patienten aus. Die erste Person benötigt die Krankmeldung gar nicht, wird aber trotzdem von ihrem Arzt »invalidisiert«, denn rechtlich gesehen darf sie nicht arbeiten, wenn sie vom Arzt krankgeschrieben wurde. Die zweite Person hat vielleicht keine Ahnung, wie sie den Weg zur Physiotherapie bewältigen soll, da ihre Wohnung ländlich liegt und eine Anbindung an den öffentlichen Verkehr fehlt. Die dritte Person erhält keine Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst, um ihre Köperpflege durchführen zu können, da der Arzt sich gar nicht vorstellen konnte, dass ein gebrochenes Bein diese Folgen haben könnte. Es ist also wichtig, den Menschen hinter einer medizinischen Diagnose zu sehen und dessen Bedürfnisse zu erfassen, um ihm helfen zu können. Dies ist im psychischen Bereich nicht anders: Trotz gleicher Symptome gehen Menschen sehr unterschiedlich mit ihren Erkrankungen und möglichen Einschränkungen durch ihre psychische Belastung um. Jeder Mensch erlebt sein Problem – so ähnlich es auch dem Problem seiner Nachbarin oder seines Nachbarn sein mag – unterschiedlich. Somit benötigen auch alle Menschen individuelle Hilfe. Entstigmatisierung fängt also dort an, wo wir Menschen fragen, wie sie ihre psychische Erkrankung erleben, welchen Sinn sie ihr geben, ob und welche Hilfe sie benötigen, welche Therapieform sie für hilfreich für sich halten und ob ihre Therapeutin oder ihr Therapeut zu ihnen passt. Davon ausgehend, dass jede psychische Krise ein individueller Lösungsversuch ist,...


Schoppmann, Susanne
Dr. Susanne Schoppmann ist Fachkrankenschwester für psychiatrische Pflege, promovierte Pflegewissenschaftlerin und arbeitet derzeit an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel in der Abteilung Entwicklung & Forschung Pflege.

Wersin, Pamela
Pamela Wersin, BA Pflege und Gesundheitsförderung, ist Pflegefachfrau und pflegerische Abteilungsleiterin der stationären Jugendforensik an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.

Pamela Wersin, BA Pflege und Gesundheitsförderung, ist Pflegefachfrau und pflegerische Abteilungsleiterin der stationären Jugendforensik an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.
Dr. Susanne Schoppmann ist Fachkrankenschwester für psychiatrische Pflege, promovierte Pflegewissenschaftlerin und arbeitet derzeit an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel in der Abteilung Entwicklung & Forschung Pflege.



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