Whitehead | Zone One | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Whitehead Zone One

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-446-24577-8
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-446-24577-8
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



New York nach der Apokalypse: Es gibt nur noch zwei Sorten von Menschen, Nicht-Infizierte und Infizierte, die als Zombies ihr Unwesen treiben. In Zone One, dem südlichen Teil von Manhattan, soll Mark Spitz, ein Held von konkurrenzloser Mittelmäßigkeit, mit einem Trupp Zivilisten die Zombies bekämpfen und die Menschheit retten. Doch ist er vielleicht selbst schon einer von ihnen? Colson Whitehead hat eine grandiose Persiflage des Horror-Genres geschrieben, in der sich Trash-Talk mit feinstem Humor verbindet, ein Porträt der Megapole New York – wie sie werden könnte oder bereits schon ist.

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SAMSTAG
»DIE ZEIT VERLANGTE EIN ABBILD IHRER EIGENEN AUFGEPUTSCHTEN GRIMASSE.« ANFANGS FOLGTEN DIE TRÄUME, wenn Nächte in Sicherheit sie gestatteten, einem klassischen Muster von Angst. Er war in die institutionellen Strukturen seiner früheren Existenz – die Schule oder einer seiner faden Jobs – verstrickt, und die anderen Schüler und die Lehrer, die Kollegen und Chefs waren tot. Tot und in einem Zustand massiven Verfalls, von der Seuche entstellt: Knochen, die bei jeder Bewegung unter straff gespannter Haut sichtbar hin- und herglitten, geschwärztes Zahnfleisch, das sie entblößten, wenn sie einen Witz erzählten oder der Situation ein neues, sie komplizierendes Element hinzufügten (die Prüfung findet heute statt, der Vorgesetzte ist auf dem Kriegspfad), ihre Wunden suppig und dunkelviolett. Sie nässten, nässten unaufhörlich aus Geschwüren, Augen, Ohren, Bisswunden. In den Träumen störte er sich nicht an ihrem Aussehen, sowenig wie sie. Sie teilten ihm mit, dass sie alle, nur er nicht, für den Test gelernt hätten, dass der große Auftrag nach dem Mittagessen und nicht erst nächste Woche fällig sei, dass die Leistungsbewertung bereits laufe, von geheimen Kameras unterstützt. Nicht dass er je in seinem Leben ein Mitarbeiterbeurteilungsgespräch gehabt hätte – es war ein neurotischer Flatterball, mit dem sein Unterbewusstes aufwartete, um ihm Angst zu machen, und dabei bediente es sich des exotischen Jargons echter Erwachsener. Sie waren nicht die tollwütigen Toten oder Versprengten. Sie verhielten sich weitgehend genauso wie vorher, sein bester Freund, sein hinterhältiger Naturkundelehrer, sein zerfahrener Chef. Abgesehen von der Sache mit der Seuche waren es die Träume, die er schon seit Jahren hatte. Die Träume veränderten sich, sobald er es bis zu seiner ersten großen Siedlung geschafft hatte. Er kam nicht mehr zu spät zur Abschlussprüfung eines Kurses, von dem er gar nicht wusste, dass er sich dafür eingeschrieben hatte, stand nicht mehr im Begriff, die große Präsentation vor den höheren Tieren zu halten, als er plötzlich merkte, dass er das einzige Exemplar der Unterlagen auf dem Rücksitz des Taxis hatte liegenlassen. Seine Träume entfalteten sich auf der Bühne des Alltäglichen. Es gab keine pulsbeschleunigende Eskalation der Ereignisse, nichts Nennenswertes, was auf dem Spiel gestanden hätte. Er nahm die Bahn zur Arbeit. Er wartete darauf, dass seine Pizza Peperoni in der Hektik der Pizzeria aus dem Ofen genommen wurde. Er quatschte mit seiner Freundin. Und sämtliche Statisten waren Tote. Die Toten sagten: »Bleiben wir zu Hause und leihen uns einen Film«, »Wollen Sie Pommes dazu?«, »Wissen Sie, wie spät es ist?«, während ihnen Fliegen auf der Suche nach einem weichen Hautlappen, in den sie ihre Eier ablegen konnten, über das Gesicht wuselten, Fetzen von Menschenfleisch ihnen zwischen den Zähnen klemmten wie der berühmte Spinat und ihre Arme an den Ellbogen endeten, um einen pfirsichweißen, von herabbaumelnden Muskeln und tropfenden Sehnen umsäumten Knochen zu präsentieren. Er sagte: »Klar, bleiben wir daheim und kuscheln, es war ein langer Tag«, »Ich nehme lieber den Beilagensalat, danke«, »Es ist zehn vor fünf. Wird früh dunkel um diese Jahreszeit.« Er machte in einem offenen Yogakurs den herabschauenden Hund, während das Skel neben ihm bei dem Versuch, diese Haltung einzunehmen, entzweibrach. Niemand äußerte sich zu dem Anblick, nicht er, nicht die tote Lehrerin, nicht die enthusiastischen und gelenkigeren Toten um ihn herum und nicht das entzweigegangene Skel auf der blümchengemusterten Hanfmatte, das sich für den Rest der Stunde auf groteske Weise wie verrückt hin- und herwarf. Er schlüpfte im Umkleideraum in seine Straßenklamotten, während das Yuppie-Skel neben ihm sich eine teure Armbanduhr über das Handgelenk streifte und damit den frischen Schorf dort aufkratzte. Auf dem Weg nach draußen kaufte er sich im Café spontan einen Deluxe-Multifruchtsaft und beschloss, nichts zu sagen, als das pickelige Skel eine Bananenscheibe in den Mixer fallen ließ. Er hasste Banane. Er trank den Saft trotzdem, pustete in den gestreiften Trinkhalm, um ein feststeckendes Stück Fruchtfleisch zu lösen, und trat hinaus auf den Bürgersteig, in den Feierabendstrom der Toten auf dem Nachhauseweg, der Anwaltsgehilfen, Mohels, resignierten Zeitarbeiter, Fahrradboten und Masseure mit hängenden Schultern, der ganzen Palette von Bürgern mitten im langsamen Verfall. Die Seuche war ein gewissenhafter Handwerker und setzte mit Bedacht Effekte. Sie fielen auseinander, aber es würde lange dauern, bis das Werk vollendet war. Erst dann konnte sie ihren Namen daruntersetzen. Bis dahin blieben sie auf den Beinen. Er nahm die U-Bahn zum Pendlerzug, die Finger um die Haltestange gelegt, die noch warm war von dem Skel, das sie Augenblicke zuvor umklammert hatte. Auf den knapp über Augenhöhe angebrachten Werbeplakaten priesen retuschierte Köpfe von Toten Handelsschulen und Heilmittel an. Einige der Toten machten höflich Platz, andere dagegen drängten sich ziemlich grob in den Waggon, während er noch versuchte, auf den Bahnsteig zu kommen. Alle wollten unbedingt nach Hause. Auf dem Pendlerbahnsteig vergewisserte er sich, dass seine Monatskarte im entsprechenden Fach seiner Brieftasche steckte, und malte sich den bevorstehenden Abend aus. Sich was von seinem Lieblings-Lieferservice kommen lassen, ein Bier aufmachen und sich die Reality-Show ansehen, die er vor drei Tagen mit dem Festplattenrekorder aufgenommen hatte. Er wachte auf, als der Zug aus dem Tunnel ausfuhr und sie nicht mehr unter der Erde waren. Das einzig Beunruhigende an dem Traum war, dass er nie im Leben an einem Yogakurs teilgenommen hatte. Diese Serie entzog sich der Kategorie Albtraum. Er erwachte erfrischt oder zumindest in einen Normalzustand von Morgenfurcht erhoben, der monatelang stabil blieb. Die neue Sorte von Traumlandschaft ließ ihn merkwürdig gleichgültig. Die Toten machten Smalltalk, spekulierten über die morgige Kaltfront, karambolierten stumpf von Aufgabe zu Aufgabe, aber sie waren krank. Er entsann sich einer Traumtheorie von früher, die Träume zu Wunscherfüllungen erklärte, und einer anderen, derzufolge man jeder Mensch in seinen Träumen war; beide Theorien erschienen ihm gleichermaßen plausibel und akademisch, und letzten Ende verbrachte er nicht allzu viel Zeit mit Analysieren Er war dieser Tage sehr beschäftigt. Auf zum nächsten Planquadrat, und viel Erfolg. Seine Einheit drückte sich Eier-mit-Schinken-Paste auf die Zunge – bernsteinfarben, mit bräunlich-roten Wirbeln – und packte ihre Ausrüstung zusammen. Kaitlyn legte ihre Biographie auf die Fensterbank, als wollte sie sie dem nächsten Gast im sonnigen Urlaubsort schenken. Sie waren schon fast im Treppenhaus, als ihr der Bewegungsmelder einfiel. Sie ging ihn holen. Das passierte in letzter Zeit oft. Es war schön zu wissen, dass er da war, aber er hatte seit Beginn ihrer Tour kein einziges Mal Alarm geschlagen. Ihr neues Einsatzgebiet war das Quadrat zwischen Fulton und Gold, ein Wohn- und Gewerbegebiet, das ein paar Häuserblocks weiter östlich lag. Es fing als harmloses Geniesel an, aber Mark Spitz zog wegen der Asche seinen Poncho an, und die anderen folgten seinem Beispiel, als der Regen stärker wurde. Sie marschierten wortlos vorwärts, wurden erst im Gehen vollends wach. Kaitlyn pfiff »Stop! Kannst du den Schrei des Adlers hör’n?« (Titelsong aus Wiederaufbau), jene unverwüstliche Phönie-Hymne, während sie durch die grauen Pfützen stampften. »Und wenn wir hinkommen«, fragte Gary schließlich, »und die sind alle umgekippt? Haben sich endlich eingefangen, was die ganzen Leichenfelder-Skels haben, und wir müssen sie von jetzt an einfach nur noch einsacken?« Er machte diese Bemerkung jedes Mal, wenn sie das Planquadrat wechselten. »Das wäre schön«, sagte Mark Spitz. Die Entdeckung der Leichenfelder in diesem Frühjahr beschleunigte den Beginn so mancher Wiederaufbau-Operation. Erste Informationen darüber kamen mit den neuen Überlebenden, die durch die Camp-Tore stolperten und ungewöhnliche Geschichten von Wiesen und kleinen Parkplätzen erzählten, die voll waren von umgefallenen Toten. Es war nicht so, dass jemand sie neutralisiert hatte und dann weggegangen war, ohne das Gelände zu desinfizieren – ihre Köpfe seien unversehrt, hieß es. Die Toten sahen so aus, als wären sie an Ort und Stelle umgefallen. Der Wiedereintritt in die Vorzimmer der Zivilisation war immer problematisch, und je länger die Überlebenden da draußen gewesen waren, desto schwieriger war es für sie zurückzukommen. Aber selbst nachdem die Flüchtlinge warm geduscht, zwölf Stunden am Stück wie ein Stein geschlafen und den Mais probiert hatten (alle waren stolz auf die Maisernte, und das völlig zu Recht), blieben sie bei ihren wilden Geschichten. Die Aufklärungseinheiten kamen von überall an der Küste mit Videos zurück, die sie bestätigten. An weit offenen Orten fielen die Toten massenweise um. Ein High-School-Footballplatz im fernen Raleigh höckerig von Leibern, ein öffentlicher Park in Trenton, wo schwarze Fliegen sich über das Festmahl hermachten. Buffalo ließ wissen, was sein Think-Tank verlautete: Die Seuche habe endlich und zwangsläufig erschöpft, was der menschliche Körper ertragen könne. Die Verwüstungen und damit auch die Verheerung insgesamt stießen an eine Grenze. Die Berichte von den verstreuten Leichenfeldern gingen alle zur gleichen Zeit ein, was (einigen zufolge) auf einen bestimmten zeitlichen Verlauf der Infektion schließen ließ. Es war die Saison der Erfolgsmeldungen. Die Einrichtung stabiler Kommunikationsverbindungen mit anderen Nationen, der über die Meere hin- und...


Whitehead, Colson
Colson Whitehead, 1969 in New York geboren, studierte an der Harvard University und arbeitete für die New York Times, Harper's und Granta. Whitehead erhielt den Whiting Writers Award (2000) und den Young Lion’s Fiction Award (2002) und war Stipendiat der MacArthur „Genius“ Fellowship. Für seinen Roman Underground Railroad wurde er mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer-Preis 2017 ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen bisher John Henry Days (Roman, 2004), Der Koloß von New York (2005), Apex (Roman, 2007), Der letzte Sommer auf Long Island (Roman, 2011), Zone One (Roman, 2014) und Underground Railroad (Roman, 2017). Im Sommer 2019 folgt Die Nickel Boys (Roman). Der Autor lebt in Brooklyn.

Stingl, Nikolaus
Nikolaus Stingl, 1952 geboren, übersetzte u. a. William H. Gass, Ben Lerner, Thomas Pynchon, Colson Whitehead und Emma Cline und wurde mit mehreren wichtigen Übersetzerpreisen ausgezeichnet.

Colson Whitehead, 1969 in New York geboren, studierte an der Harvard University und arbeitete für die New York Times, Harper's und Granta. Whitehead erhielt den Whiting Writers Award (2000) und den Young Lion’s Fiction Award (2002). Er war Stipendiat der MacArthur „Genius“ Fellowship und Finalist für den Pulitzer-Prize. Bei Hanser erschienen John Henry Days (Roman, 2004), Der Koloß von New York (2005), Apex (Roman, 2007) und Der letzte Sommer auf Long Island (Roman, 2011). Der Autor lebt in Brooklyn.



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