Williams | Die Odyssee | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Williams Die Odyssee


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-455-01472-3
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-455-01472-3
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein einzigartiger Roman über den Sinn im Leben und die Suche danach

 

 Seit fünf Jahren arbeitet Ingrid auf dem riesigen Kreuzfahrtschiff  WA.  Ihre Tätigkeiten unterliegen dem Rotationsprinzip: mal bietet sie im Souvenirshop unnütze, aber teure Mitbringsel an, mal lackiert sie den Gästen die Fingernägel, dann wieder muss sie den Schiffspool beaufsichtigen. Zwischendurch gibt es mal einen Tag Landgang, an dem Ingrid sich für gewöhnlich maßlos betrinkt. 

 Als sie von Keith, dem Schiffskapitän und selbsternannten Guru eines fragwürdigen Mentorenprogramms auserwählt wird, ändert sich die Gleichförmigkeit ihres Daseins. Keith drängt sie zur Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit: eine kaputte Ehe, ein unerfüllter Kinderwunsch und ein exzessives Konsumverhalten treten an die Oberfläche, und Ingrid muss sich die Frage stellen, wie lange sie ihre Vergangenheit noch umschiffen kann.

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Weitere Infos & Material


Cover
Verlagslogo
Titelseite
Widmung
Land
See
Land
See
Land
See
Land
See
Danksagung
Biographien
Impressum


Land
Ich verließ das Schiff über die kleine Personalgangway. Ein paar andere Crewmitglieder hatten ebenfalls frei, alle wirkten blass und müde, trugen den WA-Trainingsanzug und blinzelten in die Sonne. Mit einigen hatte ich früher schon einmal zusammengearbeitet, aber die meisten kannte ich nicht. Es herrschte stillschweigendes Einvernehmen darüber, dass ein Landurlaub dann am schönsten war, wenn man ihn allein genießen konnte, und so trennten sich unsere Wege, sobald wir von der Gangway herunter waren. Ich betrat festen Boden, hatte aber den Eindruck, auf Wasser zu laufen. Der Untergrund war natürlich nicht geschmeidig wie eine Flüssigkeit, sondern hart, platt und unnachgiebig, dennoch fühlte er sich irgendwie weniger fest an als das Meer. Ich blieb stehen und wartete darauf, dass mein Körper sich fing. Ich wusste, das Gefühl, auf hoher See zu sein, würde in absehbarer Zeit nicht nachlassen, aber ich wartete trotzdem. Ich drehte mich nicht zur WA um, glaubte jedoch, ihre riesige Masse in meinem Rücken zu spüren. Es war, als läge ich neben einem schweren Körper, dem ich über die Matratze entgegenrolle. In diesem Teil Spaniens war ich noch nie gewesen, aber die Hitze fühlte sich vertraut an. Das Hafenbecken war gesäumt von Straßenhändlern mit Snacks und Getränken und von provisorischen Buden aus Zeltplanen, wo man billige Souvenirs und gefälschte Designergürtel kaufen konnte. Vor mir ging eine Frau mit rosa Mützenschirm. Ihr T-Shirt war mit einer schlafenden Comic-Katze und dem Ausruf Nope! bedruckt, sie schleppte eine Kühlbox mit Wassereis und Softdrinks. Ich rief, sie drehte sich um und kam auf mich zu. Ich holte etwas Kleingeld in der falschen Währung aus der Tasche und bezahlte viel zu viel für ein Getränk. Die Frau musterte die Münzen aus Silber und Kupfer, drückte mir eine Dose Fanta in die Hand und ging kopfschüttelnd weiter. Ich ließ den Verschluss knacken, spürte den Druck entweichen. Die Kohlensäure kitzelte in der Kehle, ganz kurz bekam ich keine Luft mehr. Ich lief weiter, bis ich mich zwischen weißen Häusern wiederfand und das Meer weder zu riechen noch zu hören war. In einer engen Straße blieb ich stehen. Ich schwitzte in meinem Trainingsanzug. Als ich mich wieder in Bewegung setzte, berührte der Flanellstoff bei jedem Schritt meine Haut und blieb am Schweiß kleben. Da entdeckte ich einen kleinen Laden mit einer Auslage aus Korbtaschen, Strohhüten und neumodischen Schnorchelsets. Aus der Tür schlug mir klimatisierte Luft entgegen. Ich trat ein und ging zu den Klamotten im hinteren Teil durch. Ich hatte keine große Auswahl. Es gab Jeansshorts mit ausgefranstem Saum, mit Ankern bestickte T-Shirts, Badeanzüge und Bikinis. An der Wand hingen Kleider, alle aus weißem Leinen und knöchellang. Ich wählte eins mit Spaghettiträgern und gesmokter Brustpartie und nahm es mit in die Umkleide. In dem Kleid wirkten meine Schultern schmaler und meine Haut gebräunter. Auf dem Boden lag ein schwarzes Haargummi. Ich warf den Kopf nach vorn und band mir einen hohen Pferdeschwanz, und als ich mich vor dem Spiegel wieder aufrichtete, sah ich aus wie ein anderer Mensch. Wie eine ungeschminkte Frau in einem weißen Kleid mit streng zurückfrisiertem Haar. Ich lächelte probehalber. Ich verließ die Umkleide und wählte zu dem Kleid eine Strohtasche, flach und rund und so groß wie ein Fahrradreifen, und dazu eine riesige Schildpattsonnenbrille. Ich bezahlte alles an der Kasse. Draußen stopfte ich den Trainingsanzug, das Kleingeld und meine Kreditkarte in die Tasche und setzte mir die Sonnenbrille auf. Ich konnte förmlich spüren, wie der Schweiß auf meiner Haut verdampfte. Ich ging ziellos weiter und kam an Häusern in minimal unterschiedlichen Schattierungen von Senf, Apricot oder Kupfer vorbei. Hoch oben überrankten Telefonleitungen und Stromkabel die Straße, von einigen baumelten Papierlaternen und Sonnenschirme. Die Luft roch salzig, aber nicht nach Meer, sondern nach Knochen oder Haut. Aus einer Bar in der Nähe kam Musik. Musik!, dachte ich. Ich mag Musik. Es war zehn Uhr morgens, aber in der Bar war es angenehm dunkel. Auf Holzregalen sah ich getöpferte Aschenbecher und Bronzeikonen von mir unbekannten Heiligen. Hinter dem Tresen hing ein ganzer Schinken von der Decke. Ich setzte mich an einen Tisch am Eingang und schlug die Zeitung auf, die jemand dort vergessen hatte. Weil ich das Geschriebene nicht lesen konnte, konzentrierte ich mich auf die Fotos. Nach einigen Minuten tauchte ein Mann auf. Ich bestellte Kaffee, ein Frühstück und einen kleinen Wermut. Der Mann ordnete sein Gesicht zu einer neutralen Miene an und fragte, welche Art Frühstück es denn sein solle. Egal, sagte ich. Bevor er wieder ging, bat ich ihn, die Musik ein bisschen lauter zu stellen. Er verdrehte die Augen, was wohl bedeutete, dass er die Idee ganz hervorragend fand. Minuten später schallte Tanzmusik vergangener Jahrzehnte durch den Gastraum. Ich schloss die Augen und achtete auf den Text. Es ging um Geld und Liebe. Ich versuchte, noch konzentrierter zu horchen. Auf die Instrumentierung, das seltsame Arrangement, eine Trompete, eine erratische Snare. Als ich die Augen wieder öffnete, standen die Getränke vor mir. Ich kippte den Wermut, rührte Milch und Zucker in den Kaffee und trank. Der Mann brachte mir das Frühstück, Rührei mit Bratkartoffeln. Mit zwei Fingern formte ich ein V und zeigte auf das Wermutglas und die Kaffeetasse, noch einmal das Gleiche, bitte. Er nickte knapp und verschwand wieder. Ich bestreute die Eier mit Salz und Pfeffer und mischte sie unter die Kartoffeln. Nach einer Weile merkte ich, dass ich im Takt kaute. Der Kaffee und der Wermut wurden gebracht, aber ich trank sie erst, nachdem ich alles aufgegessen hatte. Als ich fertig war, bezahlte ich am Tresen und ging. Auf der Straße war mehr los als eben noch. Die Leute bewegten sich demonstrativ träge, als wären sie sich ihres Privilegs bewusst, kein bestimmtes Ziel zu haben. Ich entdeckte eine Gruppe von Touristen, Passagiere von der WA vielleicht, und beschloss, ihnen zu folgen. Wahrscheinlich wussten sie besser als ich, wo wir waren und was es hier zu sehen gab. Ich trödelte in einigem Abstand hinterher, duckte mich in die Läden, vor denen sie stehen blieben, und beäugte alle architektonischen Details, die ihr Interesse erregten. Die Gruppe bestand aus drei Männern und drei Frauen. Die Männer trugen eine Uniform mit Cargoshorts oder weiter Stoffhose, die Frauen Sommerkleider in Pastellfarben. Anscheinend sprachen sie Deutsch. Ihre Haut wirkte rosa und gereizt, und ich empfand ein undefinierbares Gefühl irgendwo zwischen Sympathie und Verachtung. Wir durchquerten eine Gasse und kamen auf einem großen Platz heraus. In der Mitte stand ein Brunnen, und ich war erleichtert, eine Sehenswürdigkeit gefunden zu haben und den Leuten nicht mehr folgen zu müssen. Ich ließ sie vor einem Buntglasfenster zurück, wo sie sich gegenseitig fotografierten, lief einmal um den Platz herum und näherte mich dann dem Brunnen. Ich streifte meine Turnschuhe ab und hielt die Füße ins flache Wasser. Die Turnschuhe hatten rote narbenähnliche Abdrücke auf meiner Haut hinterlassen. Unter Wasser schien sie aufzuquellen. Ich drehte den Kopf hierhin und dorthin, sah mich um und entdeckte ein hellgraues, von bunten Flaggen flankiertes Gebäude, wahrscheinlich ein Kunstmuseum. Das wäre doch ein absolut normales Vorhaben. Ich stieg aus dem Brunnen, nahm meine Schuhe in die Hand und ging hinüber, wobei ich eine Spur aus abflauenden Fußabdrücken hinterließ. Ich zog mir die Schuhe wieder an, ging hinein und löste ein Ticket. Nach zehn Minuten merkte ich, dass ich nur deswegen so schlecht sehen konnte, weil ich immer noch die Sonnenbrille trug. Ich schob sie mir ins Haar und fühlte mich sofort wie eine sehr reiche Schauspielerin. Das Museum war auf aggressive Weise modern. Es gab dort blaue Plastikskulpturen, die an gekräuselte Bänder erinnerten, und scheinbar aus der Wand gehauene Marmorgesichter. In einem riesigen weißen Saal wuchs ein Baum direkt aus dem Boden. Ich blieb vor jeder Texttafel stehen, konnte mich aber nicht überwinden, sie zu lesen. Den Lageplan fand ich eher verwirrend. Ich besuchte eine kleine Ausstellung mit Schwarz-Weiß-Fotografien, die mir vage bekannt vorkamen; ich hatte diese Szenen schon einmal gesehen, oder vielleicht hatte ich davon geträumt oder sie persönlich erlebt. Auf einmal wirkte das alles wie eine Verschwörung. Ich beschloss zu gehen, allerdings nicht ohne einen Abstecher in den Geschenkeshop. Der Shop war herrlich und hatte x-mal mehr Energie als der Saal mit dem Baum, die Fotoausstellung oder die sterile, gestelzte Architektur. Es gab dort Bücher über Aktzeichnen, Jutebeutel mit Museumslogo und Radiergummis, die wie monochrome Farbpaletten gestaltet waren. Ich kaufte einen Kissenbezug mit der Geburt der Venus und ein Buch über David Hockney. Danach war ich außer Atem, überreizt und durstig. Ich überquerte den Platz und wählte ein Restaurant mit sauberen Tischen unter einer niedrigen Segeltuchmarkise. Sobald ich saß, stand eine Kellnerin vor mir. Sie fragte, ob ich etwas essen wolle, und ich log ganz instinktiv und bejahte. Ich bestellte ein großes Bier, hakte den Fuß um das Bein eines unbesetzten Stuhls am Nachbartisch, zog ihn heran und legte die Füße darauf. Ich trank das Bier und tat nicht einmal so, als läse ich die Karte, und wenn die Kellnerin sich näherte, rief ich: Ich überlege noch! Als ich das Bier ausgetrunken hatte, bestellte ich ein zweites, und dann noch eins. Am Tisch vor mir teilte sich eine vierköpfige...


Williams, Lara
Lara Williams ist eine britische Autorin und lebt in Manchester. Mit ihrem Debütroman »Supper Club« gewann sie 2019 den Not the Booker Prize, ihre Kurzgeschichtensammlung »Treats« ist ebenso preisgekrönt. »Die Odyssee« ist ihr zweiter Roman.

Lara Williams ist eine britische Autorin und lebt in Manchester. Mit ihrem Debütroman »Supper Club« gewann sie 2019 den Not the Booker Prize, ihre Kurzgeschichtensammlung »Treats« ist ebenso preisgekrönt. »Die Odyssee« ist ihr zweiter Roman.



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