E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Wippermann Heilige Hetzjagd
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86789-608-5
Verlag: BEBUG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Ideologiegeschichte des Antikommunismus
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-86789-608-5
Verlag: BEBUG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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2. USA 2.1 »Enemy within« Die Amerikaner sind ein stolzes und gottesfürchtiges Volk. Stolz sind sie auf ihre von Gott gegebene Sendung – das manifest destiny . Und dass sie Gott fürchten und vertrauen, bringen sie schon auf der Eindollarnote zum Ausdruck, auf der In God we trust zu lesen ist. Zum American creed gehört jedoch auch die amerikanische Urangst vor einem ominösen inneren Feind – dem enemy within. 181 Zu den inneren Feinden wurden schon die indianischen Ureinwohner gezählt, die sich dem Expansionsstreben der europäischen Einwanderer widersetzten, weshalb sie über die immer weiter nach Westen vorgeschobene Grenze – frontier – gedrängt und schließlich fast ausgerottet wurden. Dies geschah ohne jegliche moralische Skrupel. Sind die Indianer doch schon von den sendungsbewussten Puritanern mit den in der Bibel erwähnten Ammonitern und Kanaanitern verglichen worden, die von den Juden ausgerottet worden sein sollen. Da sich die Puritaner und die anderen amerikanischen Protestanten als Nachfahren, ja als Verkörperung des »auserwählten Volkes« sahen, behandelte man die amerikanischen Indianer wie die biblischen Ammoniter und Kanaaniter. Mit den Mexikanern, denen man ebenfalls große Teile ihres Landes im Süden und Westen der expandierenden USA entriss, konnte man nicht so verfahren. Dennoch wurden auch die Mexikaner zu den »inneren Feinden« gezählt. Um dies zu begründen, wurde ein völlig peripheres historisches Ereignis maßlos aufgebauscht und geradezu mythologisiert. Gemeint ist die Eroberung des kleinen Städtchens – eigentlich handelte es sich nur um ein Fort – Alamo im damals noch selbständigen Texas durch mexikanisches Militär unter Führung des (späteren) mexikanischen Präsidenten Santa Anna. Die zunächst erfolgreiche Verteidigung Alamos durch texanische Milizen und einige Freiwillige aus den USA wurde zu einem Heldenepos, das auch heute noch jeder Amerikaner kennt – und sei es auch nur aus den vielen weniger guten, vielmehr meist schlechten Alamo-Filmen.182 Die von Santa Annas Soldaten angeblich begangenen Grausamkeiten bei der Eroberung Alamos wurden – und werden immer noch – breit und in den blutigsten Farben geschildert. In der Folge entstand ein tiefes Misstrauen gegenüber den mexikanischen Landsleuten im ursprünglich mexikanischen Kalifornien, Arizona, Neu-Mexiko und Texas, das dann auf mexikanische Einwanderer übertragen wurde, die völlig ohne Grund als Bedrohung angesehen wurden und immer noch werden. Die Mexikaner waren und blieben jedoch nicht die einzigen »inneren Feinde«. Zu ihnen wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts auch große Teile der amerikanischen Arbeiterbewegung gezählt.183 Auch diese Angst war unbegründet und basierte auf einem, allerdings nicht eingestandenen, schlechten Gewissen. Die überaus schnelle und erfolgreiche Industrialisierung nach dem Bürgerkrieg hatte zur Entstehung einer sozialen Frage geführt, deren Lösung genauso dringlich, wenn nicht noch dringlicher als in den industrialisierten europäischen Ländern war. Doch dies geschah nicht. Jedenfalls nicht vonseiten des Staates, der sich nicht in das Wirtschaftsleben einmischen wollte und auch gar nicht konnte, weil dies auf den energischen Widerstand der völlig unbeschränkt und geradezu oligarchisch herrschenden amerikanischen Industriellen gestoßen wäre. Die meisten amerikanischen Arbeiter, vor allem die gerade aus Europa eingewanderten, wurden gnadenlos ausgebeutet und lebten in sozialen Verhältnissen, die weitaus schlechter als die in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern waren. Der amerikanischen Arbeiterbewegung bot sich also ein breites Betätigungsfeld, was zu ihrem Erstarken hätte führen müssen. Doch auch dazu kam es nicht: Die Gewerkschaftsbewegung blieb schwach, und die sozialistischen Parteien, die im Lande entstanden, waren fast bedeutungslos. Die Socialist Labor Party hatte 1880 ganze 1500 Mitglieder.184 Die Gewerkschaften wurden zudem von Spitzeln der Arbeitgeber unterwandert und nicht selten von völlig korrupten Funktionären angeführt. Bedeutung hatten sie ohnehin nur in einigen Regionen. Die einzige Gewerkschaft, die fast im ganzen Land vertreten war, war die 1886 gegründete American Federation of Labor (AFL). Doch gerade sie war strikt reformistisch und beschränkte sich auf einen pure and simple unionism. Die Gründe für die relative Schwäche der amerikanischen Arbeiterbewegung waren vielfältig: Zunächst einmal ist auf die schiere Größe des Landes zu verweisen, durch die der Aufbau einer zentralen und im ganzen Land operierenden Gewerkschaft oder Partei nach dem Muster der SPD erschwert wurde. Die Vormachtstellung der beiden traditionellen großen Parteien wurde, anders als in England, niemals durch eine Arbeiterpartei in Zweifel gezogen. Generell blieb das auf den Prinzipien der individuellen Freiheit und ökonomischen Chancengleichheit basierende amerikanische politische System auch deshalb stabil, weil es eine unbezweifelbare Anziehungskraft auch auf die neuen Immigranten ausübte, die von seiner Gerechtigkeit überzeugt waren, anstatt es innerhalb der Organisationen der Arbeiterbewegung infrage zu stellen. Hinzu kamen die großen ethnischen und anfangs auch noch sprachlichen Unterschiede zwischen den eingewanderten Arbeitern, die ihre Organisation und Schulung zu ›klassenbewussten Proletariern‹ so unendlich schwierig machten. Schließlich wurde die Klassen-Frage immer wieder durch die in Amerika in Gestalt der Afroamerikaner real existierende »Rassen«-Frage konterkariert, weil der Rassismus auch innerhalb der Arbeiterschaft verbreitet war. Verschiedene Angehörige der Oberschicht und des politischen und ökonomischen Systems sahen dies jedoch anders. Sie fürchteten eine Verbindung der sozialen mit der nationalen, ja selbst mit der »Rassen«-Frage – konkret ein Bündnis der meist katholischen, jüdischen oder gar atheistischen Immigranten aus Süd- und Osteuropa mit den nach wie vor als Neger bezeichneten und diskriminierten Afroamerikanern gegen das herrschende Establishment der White Anglo-Saxon Protestants (WASPs). Diese Angst war unbegründet, weil die konfessionellen und ethnischen Unterschiede zwischen den Immigranten und die »rassischen« Differenzen zwischen weißen und schwarzen Arbeitern gerade die Bildung einer starken Arbeiterbewegung erschwert und verhindert haben. Dennoch hielten die WASPs an diesem irrealen und diffusen Feindbild fest. In ihren Augen galten die Angehörigen der amerikanischen Arbeiterbewegung wegen ihrer häufig nicht protestantischen Konfession, ihrer nicht-englischen ethnischen und »rassischen« Herkunft sowie wegen ihrer ebenfalls als völlig »unamerikanisch« geltenden marxistischen Ideologie als fremd und gefährlich. Die bewusst geschürte Angst vor diesem unamerikanischen enemy within konnte jederzeit in Aggression umschlagen.185 Anfang Mai 1886 war dies in Chicago der Fall. In dieser gewaltig expandierten Industriestadt hatten sich einige anarchistische Gruppen gebildet, die unter den deutschen, jüdischen, italienischen und osteuropäischen Immigranten einige Tausend Mitglieder rekrutiert hatten. Am 1. Mai 1886 organisierten sie einen Streik, um für die Einführung des Achtstundentages zu demonstrieren, was ihren australischen Kollegen in der damaligen britischen Kolonie Victoria schon 1856 gelungen war. Am 3. Mai 1886 kam es dann auf dem Chicagoer Haymarket zu einem Zusammenstoß mit der Polizei, der einige Tote und Verletzte forderte. Anlass soll der Bombenwurf eines Demonstranten gewesen sein, durch den ein Polizist getötet wurde.186 Obwohl keineswegs sicher geklärt werden konnte, wer die Bombe tatsächlich geworfen hatte, wurden vier angebliche Rädelsführer verhaftet, zum Tode verurteilt und ein Jahr später hingerichtet. 2.2 »Red Scare« Auch nach dem Ersten Weltkrieg wurde die amerikanische Arbeiterbewegung in einer Weise bekämpft und unterdrückt, die bis dahin beispiellos war und nur noch von den faschistischen Staaten in Italien, Deutschland und Spanien übertroffen werden sollte. Gegen die amerikanische Arbeiterbewegung wurde ein Feldzug geführt, der unter der irreführenden Bezeichnung »Red Scare« firmierte, was man in etwa mit ›Angst vor den Roten‹ übersetzen kann.187 Dabei konnte von einer tatsächlichen roten oder gar bolschewistischen Gefahr nicht die Rede sein. Was geschah wirklich? Die USA waren zwar siegreich und als politisch unerhört gestärkte Großmacht aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen, hatten jedoch mit ökonomischen Schwierigkeiten zu kämpfen, die im Wesentlichen durch die Umstellung von der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft bedingt waren. Es kam 1918 und Anfang 1919 zu Massenentlassungen, die jedoch von den Gewerkschaften nicht einfach hingenommen wurden. Schließlich hatten sie, allen voran die schon erwähnte American Federation of Labor, während des Krieges einige Zugeständnisse seitens des Staates und der Unternehmer erringen können, weil beide – Staat wie Unternehmer – an einer produktiven und reibungslos funktionierenden Wirtschaft interessiert gewesen waren. Doch davon sowie von weiteren sozialen Reformen wollten nun sowohl die Wirtschaftsbosse als auch die konservativen Kräfte in Staat und Gesellschaft nichts mehr wissen und versuchten...