In der pietistischen Erneuerungsbewegung des beginnenden 18. Jahrhunderts beanspruchten protestantische Frauen - vielleicht zum ersten Mal seit der Reformation - einen Entfaltungsraum, der über die durch das Ideal der christlichen Hausmutter gesteckten Grenzen hinausreichte. In der vorliegenden Studie wird am Beispiel des Pietismus hallescher Prägung der Einfluß der weiblichen Gläubigen auf die Reformbewegung untersucht. Als folgenreich erwies sich die im innerkirchlichen Pietismus vollzogene Abgrenzung von der ekstatisch-chiliastischen Bewegung, in der Frauen als Prophetinnen und Bußruferinnen in den 1690er Jahren eine bedeutsame Rolle gespielt hatten. An die Stelle außeralltäglicher Offenbarungen, Visionen und Ekstasen trat im halleschen Pietismus die Verpflichtung auf eine individuelle Bekehrungsarbeit, durch die Selbstbeobachtung und Seelenanalyse zur täglichen Pflicht wurden. Dies führte zu einer neuartigen Sensibilisierung gegenüber eigenen Gefühlen und zur Einübung biographischer Selbstreflexion. In ihrer kenntnisreichen und fundierten Untersuchung erschließt die Autorin u.a. bislang unbeachtet gebliebene weibliche Selbstzeugnisse in Form von Briefen und Bekehrungsberichten. Jenseits einer zu Mythologisierung neigenden pietistischen Selbstdarstellung nimmt sie zum ersten Mal die Erziehungswirklichkeit in den pädagogischen Anstalten in Halle in den Blick.
Witt
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