E-Book, Deutsch, 307 Seiten
Wörishöffer Lionel, der weiße Sklave
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7309-1569-1
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 307 Seiten
ISBN: 978-3-7309-1569-1
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
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ZWEI
Währenddessen waren Philipp und Lionel auf den Hof hinausgegangen und befanden sich nun unter der Schar der von ihrer Arbeit heimkehrenden Neger. „Ich gehe noch in die Stadt, Philipp, willst du mit, dann soll Ralph meine Ponys vor den Wagen spannen!“ Philipp schüttelte den Kopf. „Ich danke dir, Lionel, heute Abend nicht mehr. Du reitest auch gewiss lieber deinen Ajax.“ „Ja! Ich will ein Farmer werden und draußen in Wald und Feld meine Tage verleben, immer mit der Kugelbüchse auf der Schulter, halb Squire, halb Trapper, das ist’s, was ich mir wünsche.“ Philipp lächelte. „Was dir jedenfalls auch zuteil werden wird, Lionel, du erbst doch wohl diese Farm.“ Der andere schien betroffen. „Ich?“, sagte er gedehnt. „Aber ich bin nur ein Pflegesohn, kein Blutsverwandter des Onkels – wie sollte ich also erben? Nein, nein, du wirst der Squire und ich muss sehen, wo für mich der Tisch gedeckt ist. Onkel Charles steht mir ja darin bei.“ Die milden Züge des verkrüppelten Jungen trugen in diesem Augenblick einen sinnenden, beinahe trüben Ausdruck. „Lass uns noch keine Pläne bauen, Lionel! Es gibt Leute, die da behaupten, dass sich der Krieg gerade hier entscheiden müsse und dass die Nordstaaten den Sieg behalten werden.“ Das sollen sie ja auch! Ich wünsche den Konföderierten alles Böse!“ „Pst! Ich denke ganz wie du, Lionel, aber wenn sich der Krieg hierher zöge, das wäre doch schrecklich!“ „Dann würde ich sofort eintreten, Philipp! Dich aber brächte ich irgendwo in Sicherheit, du solltest gewiss nicht darunter leiden!“ Der Krüppel reichte ihm die weiße, magere Hand. „Wenn es gilt, schlage ich auch mit den Krücken um mich“, versetzte er. „Aber lieber wäre mir doch der Friede.“ „Master Lionel!“, rief von unten her die Stimme des Sklaven Ralph. „Wollen Sie mitfahren, Sir? Ich muss noch zur Stadt.“ „Gleich! Gleich! Adieu, Philipp, ich will nur einen Freund begrüßen, in etwa zwei Stunden sehen wir uns wieder.” Er nickte nochmals und sprang dann davon, um mit dem Sklaven zur Stadt zu fahren. Hier begann ein Bild lautesten Durcheinanders. In allen Straßen lungerten Haufen von Soldaten, nicht selten lärmend und betrunken, dazwischen Gesindel, heruntergekommene Subjekte, die, aus allen Teilen der Erde zusammengelaufen, den Truppen folgten, um einen Teil der Beute zu erhaschen. Hier und da sah man Offiziere hoch zu Ross, Equipagen, in denen über Nacht zu Millionären gewordene Spekulanten sich blähten. Wo das Gesicht eines Bürgers hinter den Fensterscheiben zum Vorschein kam, da sah man düster blickende Augen und gramvolle Züge. Mochte auch die Armee der Südstaaten bis jetzt den Sieg für sich haben – ehe alles entschieden, waren die Kräfte des Landes erschöpft und seine Bürger ruiniert. „Wohin fährst du, Ralph?“, fragte Lionel. „Zum Obersten Smith, Sir. Mr Charly muss zehn Ochsen liefern und hundert Bushel Mais – ich soll fragen, zu welcher Stunde das morgen geschehen kann.“ Der Wagen hielt auf dem Markt, und nun verabschiedete sich Lionel von seinem Begleiter. „In zwei Stunden bin ich wieder da, Ralph.“ „Well, Sir, well!“ Und Lionel ging schnellen Schrittes durch die Straßen bis zu einem Hause, dessen Schaufenster ein Eisenwarengeschäft verrieten. Die Tür war geschlossen und von innen mit einer Kette gesperrt; Lionel schüttelte voll Erstaunen den Kopf. Das in einem offenen Laden? „Wer ist da?“, fragte aus dem halbdunklen Hintergrunde eine Frauenstimme. „Guten Abend, Frau Neubert! Ich bin es, Lionel Forster von Seven Oaks!“ „Ach – das freut mich ja sehr! Hermann, Hermann, komm rasch herauf!“ Die Kette wurde entfernt und die Tür geöffnet; eine blasse, vergrämt aussehende Frau ließ ihn eintreten, indem sie gleich hinter ihm den Zugang wieder versperrte. „Wie Sie gewachsen sind, Lionel! Beinahe schon ein junger Mann zu nennen! Ach, das ist eine traurige Zeit, in der wir uns wiedersehen!“ „Hoffentlich geht es Ihnen und den Ihrigen gut, Frau Neubert?“ Die blasse Frau trocknete ihre Tränen, sie führte den Gast in das Wohnzimmer, wo zwei Kinder von acht und zehn Jahren still und scheu in einer Ecke spielten, das ganze Haus erschien überhaupt verdüstert und bedrückt. „Gesund sind wir gottlob bis jetzt alle, mein lieber Lionel, aber die bittere Not steht vor der Tür.“ Ehe er zu antworten vermochte, erklangen draußen Schritte, und ein kräftiger Junge von Lionels Alter trat in das Zimmer. „Oh Lionel, Lionel, wie gut von dir, dass du kommst!“ Die beiden waren Seite an Seite durch alle Klassen einer Privatschule der Stadt gewandert, bis dann Lionel nach Richmond zog, während Hermann als Lehrling in das Geschäft seines Vaters trat. Jetzt sahen sie einander zum ersten Male wieder. „Ich wollte dich bitten, mit mir nach Seven Oaks hinauszukommen“, rief Lionel. „Philipp Trevor ist auch da.“ Frau Neubert und ihr Sohn sahen einander an. „Es geht unmöglich!“ sagte die Mutter. „Du weißt, dass Papa dich braucht.“ „Aber wozu denn, wenn doch Handel und Wandel so sehr stocken, Frau Neubert?“ Ein unmerkliches Zeichen schien dem Jungen Stillschweigen zu gebieten, laut sagte Frau Neubert: „Du könntest ja deinen Vater auf einen Augenblick herbeirufen, Hermann. Lass ihn selbst entscheiden!“ „Mama!“ „Ja, ja, mein Junge. Geh nur!“ Hermann sprang davon. Nach einigen Minuten erschien er wieder und sagte, dass der Vater bitten ließe, ihn zu entschuldigen, Mr Forster möge einen Augenblick mit hinüberkommen zum Lager. Frau Neubert wechselte die Farbe. „Hat Papa das wirklich gesagt, Hermann?“ „Gewiss, Mama, du darfst mir glauben!“ „Dann gehen Sie nur, Lionel, aber vergessen Sie nicht, dass Ihrer Jugend hier Dinge anvertraut werden, die das Leben und das Eigentum dritter Personen betreffen – wollen Sie mir darauf Ihr Wort geben?“ „Sicherlich, Frau Neubert“, antwortete der Junge voll Verwirrung. „Von mir haben Sie, keinen Verrat zu befürchten.“ „Komm nur, komm nur“, drängte Hermann. „Ich will auch mit!“, rief der zehnjährige Alfred. „Wo ist Papa denn jetzt eigentlich den ganzen Tag, Mama?“ Frau Neubert hielt das Kind fest. „Papa arbeitet im Garten oder auf dem Lagerboden, Alli, du darfst ihn nicht stören!“ Lionel und Hermann gingen über einen halbdunklen Gang zum Hofe, wo sie im Gewirre hoher Speicherräume verschwanden und dann in einen Schuppen traten. Vor ihnen stand Hermanns Vater, ein kräftiger Mann in der Mitte der vierziger Jahre. „Es ist mir lieb, dass Sie kommen, Lionel“, sagte er. „Hermann und ich vollbringen ein Werk, dessen Verantwortlichkeit schwer auf mir lastet.“ Er deutete auf den Hintergrund des geräumigen Lagerschuppens, wo die Erde bis zur Tiefe von fünfzehn Fuß mit Schaufeln ausgeworfen war. In der weiten Höhlung flimmerte das Licht einer Blendlaterne und warf seine Strahlen auf eine Anzahl großer, mit Eisenreifen umspannter Kisten, die dicht gedrängt über- und nebeneinander standen. „Sehen Sie, Lionel, das ist das Hab und Gut einer Reihe deutscher Familien“, setzte er hinzu, „viele Tausende an Wert.“ „Aber weshalb vergraben Sie es denn hier im Speicher?“ Manche haben behauptet, der Norden erhalte von uns Mittel zur Unterstützung seiner Zwecke. Man konfisziert und drangsaliert uns. Man nennt die Deutschen, wenn sie nicht ihre Läden von dem umherlungernden Gesindel ausplündern lassen wollen, einfach Abolitionisten und wirft sie ins Gefängnis.“ Lionel erschrak immer mehr. Draußen auf der Farm war von all den Dingen nie die Rede gewesen. Ein langes Schweigen folgte. Kiste nach Kiste wurde unter vereinten Anstrengungen in den Schoß der Erde befördert und dann die Grube mit Brettern verdeckt. „Morgen kommt der Rest“, meinte Herr Neubert, „ich will dem Himmel danken, wenn alles glücklich geborgen ist.“ „Unsere kostbarsten Sachen sind auch mit hier verscharrt“, setzte Hermann hinzu. „In jeder Kiste liegt ein Dokument mit dem Namen des Besitzers und einer Liste der vorhandenen Gegenstände, auch die Erklärung, auf welche Weise dieselben in meinen Schuppen gelangten – das sollten Sie wissen, Lionel, denn ich brauche bei einer so schweren Verantwortung die Mithilfe eines verschwiegenen Zeugen. Mein Junge und ich sind täglicher Gefahr ausgesetzt, aber Sie, der Sohn eines Plantagenbesitzers, kommen nicht in die Lage, für einen Abolitionisten gehalten zu werden.“ „Während ich ganz von Herzen ein solcher bin! Philipp ebenso, auch Onkel Charles – dieser wenigstens heimlich. Er ist für seine Schwarzen in jeder Beziehung ein väterlicher Freund.“ Herr Neubert nickte. „Das weiß ich, mein lieber...