E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Wollschläger / Körber In diesen geistfernen Zeiten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8353-4689-5
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Reden und Glossen zur Zeit
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Hans Wollschläger - Schriften in Einzelausgaben
ISBN: 978-3-8353-4689-5
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Texte von Hans Wollschläger - gegenwartsbezogen, politisch hellwach und außerordentlich unterhaltsam.
Hans Wollschläger war sein ganzes Leben lang Kulturkritiker und wie bei seinen großen Vorbildern Friedrich Nietzsche und Karl Kraus sind seine nur vordergründig unzeitgemäßen Betrachtungen immer gegenwartsbezogen, politisch hellwach und außerordentlich unterhaltsam.
Der Band enthält den umfangreichsten Text aus dem Nachlass zusammen mit der letzten, in der 'Schriften'-Reihe noch fehlenden Buchveröffentlichung des Autors.
'In diesen geistfernen Zeiten' erschien erstmals 1986 als Sammlung durchaus unterschiedlicher Texte, die der Musiker Wollschläger als 'Konzertante Noten zur Lage der Dichter und Denker für denen Volk' untertitelte. Es handelte sich hierbei um kulturkritische und auch polemische Einschätzungen zur Situation der Schriftsteller und Übersetzer, die Wollschläger im Titel- und Herzstück des Bandes, der Rede zum Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste von 1976 eloquent ausführte.
Die seit den 80er Jahren verfassten Notate, Glossen und kleineren Essays, die Wollschläger neben den Tagebüchern führte und die von ihm in der Nachfolge Lichtenbergs 'Sudelbücher' genannt wurden, sah er selbst als Fortsetzung und Weiterführung der Texte der 70er und frühen 80er Jahre. Insofern bietet der Band auch eine kulturkritische Darstellung aus über 30 Jahren bundesrepublikanischer Geschichte.
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In diesen geistfernen Zeiten
Allegro con brio. Angelegentliche Rede zur Verleihung eines Literaturpreises – und das Zitat liegt mir wahrhaftig nicht nur darum nahe, weil ich gestern hier in München aus und über Karl Kraus gelesen habe, – in diesen geistfernen Zeiten für eine Geistes-Arbeit öffentlich geehrt zu werden, hat gerade in der Freude, die es weckt, etwas Irritierendes. Denn es stört die Geschlossenheit der Anschauung einer Welt, die unsereinen sonst ja nur störend umgibt und ganz und gar nicht ehrend; es verzerrt das Bild einer Gesellschaft, die zu unserem Leben sonst kaum anderes beiträgt als Anlässe, den Weltlauf zum Davonlaufen zu finden; es könnte sich der mißtrauischen Betrachtung am Ende als der Versuch dieser Gesellschaft darstellen, den Regelbefund zu durchbrechen und durch eine bestechende Ausnahme für sich einzunehmen. Gerade in der Freude, die es weckt und für die Ihnen zu danken ich hier stehe – irritiert, beunruhigt, durchaus verlegen: – ich kann sie, diese Freude, nicht so nüchtern und gedankenlos hinnehmen, wie ich’s, in diesen geistfernen Zeiten, sollte und wollte, und sie wäre es vor allem, die ich, wo ich Ihnen danken soll und will, mit Ihnen kritisch zu bedenken hätte. Denn sie macht mir zu schaffen; sie macht mir, der Leben und Arbeit in aller Gelassenheit darauf eingerichtet hat, ohne externen Beifall auszukommen, schwer zu schaffen – in einem Sinn, der über den Widersinn der mir zugewendeten Ehre hinausreicht. Sie, die bloße Ehre, mit Verdis Falstaff für »nichts als zwei Silben« zu halten, brächte ich durchaus fertig, und vor dem Ambivalenzverlust gegenüber dem Vielberedetsein in der Presse bewahrt mich mühelos der Grundsatz, den Gustav Mahler in die klösterliche Regel gefaßt hat: wir dürften uns nicht über das Lob von Leuten freuen, deren Tadel wir gering achteten. Und das tun wir ja: er ist fürs Persönliche, für die Nerven, bloß eine anerkannte Belästigung und für die Arbeit ohne Wert; was immer Kritiker von dieser Arbeit verstehen mögen, fraglos verstehen sie ja weniger davon als wir, weil sie’s sonst selber machen würden; man kann nichts davon lernen – und muß sie in aller Ruhe der Aufgabe überlassen, wenn sie denn schon über uns reden wollen, zu anderen über uns zu reden, und den Aberglauben, daß die Gesellschaft an unseren Kunstwerken produktiv mitwirke, ebenso ruhig den Soziologen. Was also irritiert mich an meiner Freude? Ich müßte kritisch mit Ihnen bedenken, ob es die Ohnmacht ist, mit der ich mich dem Brauch füge, dem Gelobten das Lob so direkt hinter die Ohren zu schreiben, ein Vorgang, auf den ja kaum anders als stumm und stillhaltend zu antworten ist. Denn wo so lobend und labend über einen gesprochen wird, ist das Zurücksprechen schwierig: man könnte, wenn’s nach den bürgerlichen Benehmensregeln ginge, eigentlich nur abwehren: alles halb so wild, oder, ging’s nach der Ehrlichkeit, zustimmen – und erklären, wie das alles völlig richtig sei, wie wichtig man sich selber finde, wie gleichso angetan man von sich selber sei (und wir wollen uns doch rasch einig werden, daß vor der eigenen, inneren Zensur-Instanz wirklich nur die Lumpe bescheiden sind), wie – ganz im Ernst nun – ernst man sich selber nimmt. Beides wäre, als Dank, sehr wenig geeignet. Was irritiert mich? Ich müßte mit Ihnen die schwierige Frage bedenken, mit welchem Recht ich’s annehme, in der Regel dieser Gesellschaft, in der dem Künstler nichts geschenkt wird, die Ausnahme zu sein; – aber auch das deckt nicht den Rest. Ich muß am Ende die ganze Ehre, die mir durch Sie zuteil wird, doch auf sich beruhen lassen, stumm und stillhaltend, und kann die Pflicht, die mir durch sie zuteil wird: zu Ihnen zu sprechen, sinnvoll nur auf die Andere Seite meiner Freude und meines Danks beziehen – jene andere Seite, die man »auch« hören soll und die, wie es dann manchmal kommt, die wichtigere ist. Sprechen wir also – in diesen geistfernen Zeiten, in denen dem Künstler nichts geschenkt wird – vom Geld. Nun hat kürzlich erst Hanns Grössel aus dem gleichen Anlaß einer Preisverleihung auf die Situation der Literaturübersetzer hingewiesen und sie konfrontiert mit dem Rang der Aufgabe, die ihnen zugewiesen ist: der »Öffnung der literarischen Grenzen«. Er hat die Situation »skandalös« genannt und dargelegt, wie sie sich aufs Große Ganze des Bildungsbefunds auswirke: als stufenweise Annäherung nämlich an einen »Zustand der literarischen Provinz«. Nun kann man den Kenntnisstand unseres Volks der Dichter und Denker ja sicher gar nicht gering genug einschätzen; aber selbst im Bewußtsein der kleinen Kreise, in denen noch gelesen wird, jener auch, in denen geschrieben wird, nimmt die Gegenwärtigkeit dessen, was Goethe als erster »Weltliteratur« nannte, immerzu ab. Das gehört nun allerdings exakt zum Lauf der Welt, und für das Ärgernis, das unsereins daran nimmt, ist im Gesetz kein Paragraph vorgesehen. Auch handelt eine Gesellschaft, deren Lebensstandard ihren Geistesstandard so glücklich überflügelt hat, ja doch, wenn sie sich vom Leibe hält, was andernorts über Leben und Geist gedacht wird, in berechtigter Notwehr: man muß da viel Verständnis haben. Die Literaturübersetzer, bei denen das alles umgekehrt ist, nehmen sich da fast abartig aus, und wenn sie klagen über ihre Situation, stehen sie imgrunde, gegen soviel kommunes Einvernehmen, bloß als Sonderlinge da, die mit ihrer Schrulligkeit verdientes Pech gehabt haben. Ihre Situation, die skandalöse, die zum Skandal nicht taugt: sie ist in diesen geistfernen Zeiten natürlich wirtschaftlicher Natur. Hanns Grössel hat einige Zahlen genannt; und da man, nach Stendhal, eine Wahrheit gar nicht oft genug wiederholen kann, damit sie durchdringe, wiederhole ich sie Ihnen hier, ja ich mache sie, aus dem reichen Schatz meiner Erfahrungen, noch ein bißchen garstiger. Das durchschnittliche Honorar für Literaturübersetzungen beträgt heute 15,– DM pro Seite, und Sie können das leicht auf einen Stundenlohn umrechnen: bei mir (und den meisten anderen) macht eine Seite, bis sie ganz fertig ist, gut 2 Stunden Arbeit. Also 7,50 brutto – für eine Leistung, deren Facharbeitscharakter ja in der Regel unbestritten ist; das wären, also, bei der berühmten 40-Stunden-Woche 1200,– DM brutto im Monat. Ich sagte ›wären‹, denn wir haben zwangsläufig eine 80-Stunden-Woche – und kommen trotzdem nicht aufs Doppelte, da ein Teil der Zeit ja dafür weggeht, daß wir Information aufnehmen müssen, lesen müssen, schlicht ›lernen‹, um dem riesigen Fachgebiet gewachsen zu bleiben (und wenn wir so verschroben sind, auch darüberhinaus noch, auf anderen Gebieten, Kenntnisse erwerben und erweitern zu wollen, geht weiteres vom Verdienst ab). Ich sag’s konkret: ich habe im letzten Jahr, wo ich pausenlos tätig und verschroben war, exakt 19.214, – DM brutto verdient; so leben wir alle Tage; genug. Betrachten wir dafür – ich habe da vor einer Weile das eindrucksvolle Erlebnis gehabt, wie ein Vertreter der Ärzteschaft auf dem Bildschirm erschien und mitteilte, seine Berufsgruppe gedenke im laufenden Jahr entgegenkommenderweise bloß 9 % mehr zu nehmen (– also nichts gegen die Ärzteschaft, es sei denn den Wunsch, sie möchte auch ein bißchen kenntnisreicher und auch verschrobener werden) –, betrachten wir dafür noch einen historischen Aspekt: um wieviel sind die Honorare der Übersetzer in letzter Zeit gestiegen? Ich schöpfe die Zahl aus 15 Jahren einschlägiger Tätigkeit: es waren in 15 Jahren insgesamt knapp 25 % – und darin wäre noch der Hereinbruch der Mehrwertsteuer zu berücksichtigen: da das Kombinat aus unserm Kopf und unserer Schreibmaschine wenigstens nach Auffassung des Finanzamts mehr Werte schafft, indem sie nämlich aus weißem Papier Prosa macht, werden wir entsprechend zur Kasse gebeten. Und um wieviel unsere Honorare im laufenden Jahr steigen werden, kann ich ebenfalls exakt angeben: um 0 %. Es ist ein schrulliger Beruf, den wir da ausüben, ein Beruf, an dem das Pech klebt wie Pech: – wieso kleben wir daran? Wie kommt es, daß der Qualitätsstand des Übersetzens doch noch jenen Tiefpunkt nicht erreicht hat, den die wirtschaftlichen Bedingungen eigentlich erzwingen? Er ist von seinen Höhepunkten freilich schon herunter, und so mögen Sie immerhin den Schatten einer Antwort daraus ablesen, daß Übersetzer diese Misere immer noch eher beklagen als ihre wirtschaftliche, deren Folge sie ist: wir können gar nicht so gut mehr arbeiten, wie wir könnten; ja wir müßten eigentlich schon längst viel schlechter arbeiten, als wir’s immer noch tun. Arno Schmidt hat einmal bei Cooper darauf hingewiesen, anläßlich der Sauerländerschen Ausgabe, wie da derartige Schnitzer zu gewärtigen seien, daß man darin fast schon einen Racheakt der Übersetzer vermuten müsse. Ach, es waren wohl gar keine Racheakte; es waren – und sind – nur Folgen der gehetzten Erschöpfung; und dagegen gibt’s außer mehr Geld – als Antidot bloß den Kritiker Günter Blöcker, der unlängst den Trost ausgab, mißratene Übersetzungen hätten noch nie den Siegeszug eines Werks aufhalten können. Halten wir uns damit nicht auf; bleiben wir bei jenem Teil der Misere, der über die Privatwirtschaft der Übersetzer hinausgeht: wieviel Qualität, die nicht ist, könnte sein! Denn das ahnen offenbar nur ganz wenige: welcher Aufwand des Abwägens auf eine Literaturübersetzung zu wenden ist, auf den...