Wortmann | Authentisches Bild und authentisierende Form | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 213 mm

Wortmann Authentisches Bild und authentisierende Form


überarbeitet
ISBN: 978-3-86962-653-6
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 304 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 213 mm

ISBN: 978-3-86962-653-6
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Authentizität ist ein schillernder Begriff, der in unterschiedlichen Kontexten sehr Unterschiedliches bedeuten kann, der in Fachdiskursen ebenso zu Hause ist wie in den Diskursen der Populärkultur oder in der Alltagssprache. Für manche ist Authentizität das 'Schlagwort der Stunde', während andere den Begriff kaum verwenden, ohne ihn zugleich zu problematisieren. Das gilt auch und gerade in den Bildmedien, in denen Authentizität als Konzept immer wieder hinterfragt, umspielt, ebenso oft eingefordert wie verworfen wird. In seinem Buch zum authentischen Bild geht Wortmann von einem nicht-normativen, einen an Raum und Zeit gebundenen, konstruktivistischen Authentizitätsbegriff aus, den er in den Bilddiskursen verschiedener Epochen – von der Antike bis zur Gegenwart – aufspürt und im Hinblick auf seine Funktionsweisen untersucht.

'Selbst die größten Authentizitätsverächter werden konstatieren müssen, dass Authentizität ein Begriff mit Konjunkturen ist, ein Begriff wie ein Symptom, das in regelmäßigen Abständen aus den Ablagefächern der Geschichte aufsteigt und durch Fachdiskurse und Feuilletons geistert – mal als emphatische Beschwörungsformel, mal als großes Lamento über seinen Verlust, schließlich als Beschwerdeführung darüber, dass alle Welt von Authentizität spreche, man das ganze Echtheits- und Authentizitätsgerede aber als Zumutung empfinde.'

Zwanzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung wurde das Buch in Teilen überarbeitet und um ein neu verfasstes Schlusskapitel zur Authentizität nach der Fotografie ergänzt, das die Authentizitätsdiskurse um das digitale Bild und um die Bilder der KI-Bildgeneratoren auf ihre Dynamiken und ihr Authentizitätspotenzial hin untersucht.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Vorwort zur zweiten, überarbeiteten Auflage
Vorwort

Einleitung: Ordnungen im semantischen Feld

1. Legenden authentischer Darstellung
1.1 Das authentische Bild – eine erste Annäherung: Protogenes und sein wunderbar gemalter Hund
1.2 ›Nicht von Menschenhand‹: Acheiropoieten-Legenden
1.2.1 Christliche Apologetik und heidnisch-antike Bildpraxis
1.2.2 Ein erstes Modell authentischer Darstellung: Die Abgarlegende der Spätantike
1.2.3 Byzantinische Importikonen und importiertes Bildverständnis: Die ›vera-icona‹ des lateinischen Mittelalters als Bild und Reliquie
1.3 Der Maler als transparentes Medium
1.3.1 Lukas und Nikodemus: Legenden heiliger Maler
1.3.2 Die Askese des Malers als Zeichen medialer Transparenz
1.3.3 Das Motiv heiliger Maler in den Künstlerviten
1.4 Der Renaissancemaler und die Transformation tradierter Authentizitätskonzepte
1.4.1 Der Renaissancekünstler als ›alter deus‹
1.4.2 Der Maler als Fundstück – zum Topos der Berufungslegende
1.4.3 Das Bild als Fundstück – zur Immanentisierung der Transzendenz und Transzendierung der Natur
1.5 Zusammenfassung: Drei Authentisierungsmodelle bildender Kunst

2. Stillosigkeit als stilisiertes Authentizitätssignum
2.1 Das authentische Bild – eine zweite Annäherung: Stil und Stillosigkeit
2.2 Stillosigkeit als literarische Authentisierungsstrategie der christlichen Spätantike
2.2.1 Bildung als innere Gefährdung
2.2.2 Rhetorische Kultur und asketische Opposition
2.2.3 Die Martinsschriften des Sulpicius Severus
2.2.4 Nachtrag
2.3 Mediale Konstellationen der Aufrichtigkeit
2.3.1 Zwei Reiseberichte der Neuzeit
2.3.2 Aufrichtigkeits- und Authentizitätssehnsucht im achtzehnten Jahrhundert
2.4 Zusammenfassung: Das kommunikative Versprechen stilloser Darstellung

3. Die beharrliche Leidenschaftslosigkeit der Mechanik
3.1 Das authentische Bild – eine dritte Annäherung: Die ›Camera obscura‹ und das Authentizitätsversprechen technisch-asketischer Bildentstehung
3.1.1 Skeptische Anthropologie und emphatische Technik-Utopie: Der mediale Blick ins Paradies
3.1.2 Von der ›Camera obscura‹ zur Photographie: Die ›Wieder‹-Entdeckung des authentischen Bildes in der Moderne
3.2 Die Adaption tradierter Authentisierungsmuster in technischen Termini
3.2.1 Photographie als kunstloses Medium
3.2.2 Photographie und acheiropoietisches Abbildversprechen
3.2.3 Der unwillkürliche Ausdruck als authentisierender Aspekt photographischer Darstellung
3.3 Zusammenfassung: Das photographische Abbild und seine medienontologische Authentizitätsapologetik

4. Die Legendisierung des kinematographischen Bildes
4.1 Kinematographie und die sukzessive Ausformulierung authentisierender Strategien
4.1.1 Dokumentarfilm und dokumentarische Authentizität – eine historische Differenzierung
4.1.2 Das authentische Bild im Kontext propagandistischer Argumentation
4.1.3 The Battle of the Somme – der ›Schrecken des Krieges‹ als ästhetische Differenzerfahrung
4.1.4 ›Non-preconception‹: Die Dokumentarfilmlegende Robert Flahertys
4.2 Dokumentarische Authentizität als Subversion: Formen programmatischer Differenzierung
4.2.1 Programmatische Anti-Ästhetik und authentisches Bild: Dziga Vertov, John Grierson und Richard Leacock
4.2.2 Technikemphase und Darstellungsaskese: Authentisierende Stilverweigerung im ›direct cinema‹
4.2.3 Krisenstruktur und Enthüllungslogik: Authentisierende Sujetinteressen im ›direct cinema‹
4.3 Die inszenierte Transparenz der Dokumentarfilmautoren
4.3.1 Authentizitätsskepsis und die Ausformulierung reflexiver Darstellungsformen
4.3.2 Selbstreflexivität als authentisierendes Transparenzsignal: Wim Wenders ›Nick's Film: Lightning over Water‹
4.4 Zusammenfassung: Strategien dokumentarischer Authentizität im Film

Authentizität nach der Fotografie

Literaturverzeichnis


Vorwort zur zweiten, überarbeiteten Auflage
Als ich mich vor mehr als zwanzig Jahren erstmals aus akademischer Perspektive dem Problem der Authentizität näherte, war der Begriff für die Kulturwissenschaften bereits erledigt. Der Strukturalismus hatte uns gelehrt, dass alles Text sei und ein Schritt zurück hinter die Zeichenhaftigkeit der Welt unmöglich; die Dekonstruktion hatte uns vor Augen geführt, dass die Wesenskerne der Welt als beliebige Setzungen verstanden werden müssten, die wie modrige Pilze zerbröseln, wenn man nur genau genug hinschaute; schließlich insistierte der Konstruktivismus darauf, dass eine objektive Wirklichkeit, unabhängig von sozialen Aushandlungen und Einschreibungen, nicht denkbar sei. Für ein essentialistisches Konzept wie das der Authentizität waren das keine guten Voraussetzungen. In einem seinerzeit vielbeachteten Aufsatz schrieb der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen: »Was ›authentisch‹ ist, kann nicht geklärt werden. Mich interessiert, welche Verfahren den Effekt des ›Authentischen‹ auslösen können bei einem Publikum, das die Möglichkeit von Authentizität eher skeptisch einschätzt« (1996: 209). Von Authentizität wurde also nicht mehr gesprochen, stattdessen von Authentizitätseffekten und Authentisierungsstrategien. Auch in dem Buch, das sie gerade aufgeschlagen haben, wird viel von Effekten und Strategien die Rede sein. Insofern ist der Text erkennbar mit seiner Entstehungszeit verbunden. Seinerzeit ging man davon aus, dass Authentizität als Beschreibungskategorie mit der konsequent fortschreitenden Entzauberung von Welt in die Asservatenkammer der Kulturgeschichte durchgereicht werden könne. Diesbezüglich war ich mir nicht so sicher. Mein Interesse bestand zunächst darin zu verstehen, wie es sein kann, dass man sich von dem Authentizitätsversprechen (eines musealen Gegenstands, eines Kunstwerks, einer theatralen Aufführung, eines dokumentarischen Films) selbst dann affizieren lässt, wenn man um all seine historischen, kulturellen und sozialen Vorbedingungen weiß, sozusagen wider besseres Wissen und das vielleicht sogar mit Genuss. Jean-Louis Comolli hatte im Kontext der Apparatus-Theorie über das Kino und die Realitätseffekte des Films etwas Vergleichbares beschrieben: »[T]he spectator is anyhow well aware of the artifice but he/she prefers all the same to believe in it« (1980: 132). Allein das Anerkennen dieses ›doppelten Bewusstseins‹ des Publikums führt zu einer deutlichen Komplizierung der Verhältnisse: Es stellt keinen Widerspruch dar, auch wenn es auf gegenläufige Interessen hindeutet. Mehr aber als an einer Klärung der Publikumsinteressen (in der Arbeit ist mehrfach von ›Authentizitätssehnsucht‹ zu lesen) war ich an einem funktionalistischen Modell von Authentizität interessiert – auch wenn mir das beim Schreiben der Arbeit damals noch nicht klar war. Zwar ist ein solches Modell in der Organisation des Materials bereits angelegt, es wird aber an keiner Stelle explizit gemacht. Erst in späteren Texten tritt es deutlicher hervor (vgl. WORTMANN: 2006, 2018). Funktionalistisch bedeutet anzuerkennen, dass das Konzept von Authentizität – solange es noch in Verwendung ist und insofern von Relevanz – eine Funktion wahrnimmt, die sich nicht ohne Weiteres substituieren lässt. Diese Funktion ist zumeist eine regulative, die sich wiederum auf die unterschiedlichsten Gegenstandsbereiche und Diskurse erstreckt. Solange über Authentizität gesprochen wird, ist das Konzept virulent. Das gilt auch dann, wenn man Authentizität zur Hölle wünscht, wie das die Schriftstellerin Juli Zeh vor einiger Zeit mit gehöriger Verve in der Zeit getan hat (2006). Probleme wird man nicht los, wenn man sie ignoriert oder ins infernale Abseits zu exilieren versucht. Selbst die größten Authentizitätsverächter werden konstatieren müssen, dass Authentizität ein Begriff mit Konjunkturen ist, ein Begriff wie ein Symptom, das in regelmäßigen Abständen aus den Ablagefächern der Geschichte aufsteigt und durch Fachdiskurse und Feuilletons geistert – das mitunter in durchaus widersprüchlichen Gestalten: mal als emphatische Beschwörungsformel, mal als großes Lamento über seinen Verlust, schließlich als Beschwerdeführung darüber, dass alle Welt von Authentizität spreche, man das ganze Echtheits- und Authentizitätsgerede aber als Zumutung empfinde. Zuletzt sah sich Erik Schilling dazu veranlasst, in Bezug auf die Gegenwart von einem »Authentizitätsboom« zu sprechen (2020: 10). Interessanterweise sieht er Authentizität nicht mehr an ihr poststrukturalistisches Ende gekommen (wie das vor zwanzig Jahren noch der Fall gewesen war); im Gegenteil: »Weil die Rede vom ›Authentischen‹ auf eine unveränderliche Essenz von Menschen und Dingen rekurriert, ist sie widerstandsfähig gegenüber dem freien Flottieren digital-kosmopolitischer Tendenzen« (ebd.: 18). Damit ist zunächst nur gesagt, dass das Konzept nach wie vor von Interesse ist. Damit ist nicht in Abrede gestellt, dass es vieles gibt, was den Begriff und seine Verwendungsweisen problematisch erscheinen lässt: sein ubiquitärer Gebrauch und die daraus resultierende Unbestimmtheit zum Beispiel, dass man also den Terminus auf alles Mögliche beziehen kann, er dabei oft aber nur wie eine semantische Nebelkerze wirkt, die vieles behauptet und kaum etwas klärt. Dann natürlich seine essentialistischen Implikationen, die auf grundsätzliche Unterscheidungen hinauslaufen: Immer geht es um das Echte, das Wahre und das mit sich selbst Identische (damit zugleich um das Unechte, das Falsche, um den bloßen Schein). Schließlich geht es um Werte, die – wie Aleida Assmann schreibt – »aus der expliziten Negation ihres Gegenteils destilliert werden«, Werte, die »stets untrennbar den Schatten ihres Unwerts mit sich« führen (2012: 29). Man könnte auch sagen: Der Begriff ist auf Klärung und auf Eindeutigkeit aus. Er lässt wenig Raum für all die Phänomene, die sich irgendwo dazwischen befinden, für all die Ungereimtheiten, die Verunreinigungen und Grenzüberschreitungen, mit denen sich vor allem die Künste beschäftigen. Es scheint mir zudem ein wenig kurzsichtig, wenn in kulturwissenschaftlichen Kommentaren Authentizität pathologisiert und als Symptom von Transzendenzverlust gedeutet wird. Susanne Knaller und Harro Müller etwa sprechen vom Individuum in einer »›obdachlosen‹ Moderne«, das keinen Ort findet, die verschiedenen Zumutungen, mit denen es konfrontiert ist, zu synthetisieren, und sehen in Authentizität das Symptom einer Krise und zugleich das Zauberwort, sie zu überspielen (2006: 10f.). Wolfgang Funk und Lucia Krämer wiederum erkennen in Authentizität eine Strategie, den verunmöglichten Anspruch auf Wahrheit zu kompensieren (2011: 12). Ebenso Norbert Bolz, der in der »Krise der Echtheit und dem Kult der Authentizität […] Komplementärphänomene« sieht (2005: 101). Oder Ursula Amrein, die in Authentizität eine Reaktion auf die Kontingenzerfahrungen der Moderne erkennen will (vgl. AMREIN 2009: 9).1 Wo aber die Konjunkturen von Authentizität lediglich als Kompensationseffekt verstanden werden, reduziert man sie zu Übergangsphänomenen, konzipiert Authentizität mithin als Symptom eines Ablösungsprozesses von einer (bald sicher überwundenen) Moderne und/oder Postmoderne und demnach als Problem, das sich binnen kurzem erledigt haben wird. Die vorliegende Arbeit schlägt einen anderen Weg vor. Authentizitätsdiskurse sind weder epochetypisch noch lassen sie sich historisch eingrenzen. Als Problemkonstellation scheinen sie epochenübergreifend wirksam – zumindest im Hinblick auf europäische und vom europäischen Bild- und Subjektverständnis beeinflusste Kulturen. An dieser Stelle noch eine zweite, grundlegende Anmerkung: Authentizität als Effekt, Konstruktion und/oder als diskursive Strategie zu verstehen, ist ebenso vorausgesetzt wie unproblematisch. Wenn alles konstruiert ist, ist die Frage nach der Konstruktion obsolet. Anstatt die Frage nach dem Ob zu stellen, müsse – wie Bruno Latour zuletzt vorschlug – danach gefragt werden, wie etwas konstruiert sei. Latour tut das mit dem Ziel, die gute von der schlechten Konstruktion zu unterscheiden, um schließlich wieder ein Urteil zu ermöglichen, das – wie er schreibt – nach wie vor ein Sakrileg sei: »Weil es gut konstruiert ist, ist es demnach vielleicht wirklich wahr« (2014: 232; Herv. i. O.).2 Tatsächlich schlägt Latour vor, von »Konstruktion« als theoretischem Begriff ganz abzusehen, da man sich seiner negativen Konnotation nicht werde entledigen können. Stattdessen spricht er von »Instauration« und hofft, mit dieser Entlehnung bislang Unvereinbares zusammenzuzwingen: das Herstellen und das Auffinden, das objektiv Vorhandene und das Gemachte, das Authentische und das Fingierte (ebd.:...


Volker Wortmann, geb. 1965, ist Senior Lecturer am Institut für Medien, Theater und populäre Kultur der Universität Hildesheim. Er war Stipendiat der DFG im Graduiertenkolleg Authentizität als Darstellungsform und promovierte im Jahr 2000 mit der vorliegenden Arbeit zum Authentischen Bild. In den letzten zwanzig Jahren sind zahlreiche Texte erschienen zum Making of, zur Mediendiskursgeschichte und zur Ästhetik des Dokumentarfilms.



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