E-Book, Deutsch, Band 1, 463 Seiten
Reihe: Zeitreise-Trilogie Anne
Wulf Verschwörung in Florenz
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95530-883-4
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 1, 463 Seiten
Reihe: Zeitreise-Trilogie Anne
ISBN: 978-3-95530-883-4
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
II
Hamburg, 4. August 2003
Anne Niemeyer saß in ihrem Büro hinter dem Schreibtisch und starrte aus dem Fenster. Sie war wütend. Sie war so wütend, dass ihr das Blut in den Schläfen pochte und ihre Finger unablässig auf die Tischplatte trommelten. Nicht einmal die brennende Duftkerze half, obwohl ihr Lavendelaroma sie sonst in hektischen Zeiten oder während drohender Krisen immer beruhigte. Sie war so wütend, dass sie noch nicht einmal mehr an ihre Arbeit denken konnte. Und das alles nur wegen Carsten, dem Chefredakteur des Frauenmagazins, für das sie arbeitete. Während der Redaktionssitzung hatte er erklärt, dass die von ihr bereits sorgfältig vorbereitete Reportage über die schönsten Badebuchten Brasiliens auf einen späteren Zeitpunkt verschoben würde. Und dann, sozusagen als Krönung, hatte er ihr eröffnet, dass der freie Posten der stellvertretenden Chefredakteurin nicht an sie, sondern an ihre Kollegin Susanne Main vergeben werde. Statt also die nächste Redaktionssitzung zu leiten und bald nach Rio zu fliegen, sollte sie nun ihre Koffer packen und Ende August nach Florenz reisen, um dort von dem mittelalterlichen Spektakel Calcio in Costume zu berichten wie eine kleine freie Mitarbeiterin, die sich ihre journalistischen Sporen noch verdienen musste. Als sie gegen diese Entscheidungen aufbegehrt hatte, hatte Carsten nur gelacht und gesagt, dass sie sich nicht so aufregen solle. Vor den anwesenden Herausgebern. Als ob sie eine hysterische Hausfrau wäre, die sich dagegen sträubte, dass ihr Yogakurs um eine Stunde verlegt werden sollte. Dabei hatte Carsten selbst erst vor kurzem zu ihr gesagt, sie sei die perfekte Stellvertreterin. Dabei war er anfangs selbst Feuer und Flamme gewesen, was die Brasilien-Story betraf, und hatte ihr sogar großzügige Mittel versprochen. Woher dieser plötzliche Stimmungswandel kam, war nur zu klar. Es fiel Carsten leicht, seine Meinung zu ändern – entsprechend dem Wind, der gerade aus der Verlagsleitung wehte. Warum auch nicht. Er hatte nicht seine Freizeit geopfert, um der vernachlässigten und etwas angestaubten Reiserubrik des Magazins ein neues, zeitgemäßes Image zu verleihen. Allein in der Brasilien-Sache steckte ein Monat Arbeit. Sie hatte umfangreiche Recherchen betrieben, Kontakte mit einheimischen Prominenten, Hoteliers und Restaurantbesitzern überall auf der Welt geknüpft, Fotografenteams zusammengestellt. Er hatte das alles nicht getan, sondern sie. Natürlich neben ihren täglichen Pflichten in der Redaktion. Für Brasilien war alles fix und fertig. Sie und die Fotografen brauchten praktisch nur noch in das Flugzeug nach Rio zu steigen. Aber nein. Jetzt sollte sie nach Florenz. Mit der Bahn. So ein verdammter Mist. Ausgerechnet Florenz. Anne warf einen Blick auf die Uhr, die an der gegenüberliegenden Wand hing. Fünf Minuten vor fünf. Feierabend. Sie erhob sich mit einem Ruck und pustete die Kerze aus. Natürlich hätte sie auch heute wieder länger bleiben können. Es gab immer viel zu tun. Sie hätte noch die Fotos für die Reportage über Stockholm durchsehen und mit Steffi von der Bildredaktion über die notwendigen Änderungen sprechen können. Sie hätte auch den Bericht selbst noch einmal korrigieren können, doch der Artikel ging erst kommenden Montag in Druck. In Journalistenkreisen war das eine halbe Ewigkeit. Und sollte die Zeit für die Korrekturen doch noch eng werden, na ja, dann würde sie sich eben einmal nicht erst mit dem wirklich Besten zufrieden geben, dann würde in der Septemberausgabe des beliebten Frauenmagazins kein erstklassiger, sondern nur ein mittelmäßiger Artikel erscheinen. Und falls die Resonanz der Leserinnen entsprechend ausfiel, so war es nicht ihr Bier. Sollte sich doch Susanne darum kümmern. Sie hatte allein in den vergangenen zwei Monaten genügend Überstunden gemacht, um mindestens eine ganze Woche zu Hause bleiben zu können. Und wozu? Man scherte sich hier ohnehin nicht darum. Vielleicht sollte ich das wirklich tun, dachte sie und nahm ihre Handtasche. Vielleicht sollte ich einfach zu Hause bleiben. Ausschlafen, es mir eine Woche lang gut gehen lassen und diesen fantastischen einmaligen Sommer genießen, anstatt ihn hier im Verlag zu verbringen. Soll Carsten doch zusehen, wie er mit dem Laden allein fertig wird. Verdient hätte er es, dieser Idiot. »Du gehst doch nicht etwa schon nach Hause?«, fragte ein Kollege, den sie auf dem Weg zur Tiefgarage auf dem Flur traf. »Es ist siebzehn Uhr, Tom. Ich habe Feierabend.« Sie wartete seine Entgegnung nicht ab, sondern stieg in den Fahrstuhl, der sie bis in die Tiefgarage brachte. Das Parkdeck war gut gefüllt. Ein ungewohnter Anblick für Anne. Oft genug standen, wenn sie abends ihr Büro verließ und zu ihrem Auto ging, nur noch zwei Wagen auf Parkdeck 3– ihr eigener und der von Carsten. Susannes kirschroter Mini war dann meistens schon weg. Sie hatte immer viel um die Ohren – tanzen, reiten, ein eigenes Pferd. Tja, in Zukunft würde sie sich wohl umstellen und das eine oder andere Hobby aufgeben müssen. Als stellvertretende Chefredakteurin würde ihr nicht mehr so viel Zeit bleiben. Anne stieg in ihr Auto, startete den Motor und fuhr aus der Tiefgarage hinaus. An der Schranke hielt sie an. Herr Pachulski, der Garagenwart, lächelte ihr freundlich zu. »Na was denn, gerade erst siebzehn Uhr und schon Schluss für heute, Frau Niemeyer?«, sagte der alte Herr mit seinem liebenswerten ostpreußischen Akzent. »Draußen scheint die Sonne, und ich denke, der Verlag wird auch ein paar Stunden ohne mich zurechtkommen.« »Na, ich sag ja immer, dass Sie zu viel arbeiten. Und danken wird es Ihnen hinterher niemand.« Er drückte auf einen Knopf, damit sich die Schranke hob. »Machen Sie sich einen richtig schönen Abend, Fräuleinchen.« »Danke, Herr Pachulski«, erwiderte Anne und winkte ihm zu. Diesem alten freundlichen Mann konnte man nicht böse sein. Nicht einmal wegen dem Fräuleinchen. Anne war bekannt dafür, dass sie meistens lange arbeitete. Sie liebte ihren Job. Und sie liebte das Magazin, als wäre sie die Herausgeberin. Jede Seite in dieser Zeitschrift sollte erstklassig sein. Und für einen exzellenten Artikel strengte sie sich an, legte sich richtig ins Zeug und machte Überstunden, ohne nach der Bezahlung oder dem Freizeitausgleich zu fragen. Jeder hier im Verlag wusste das, ihre Kollegen, die türkischen Putzfrauen, die abends artig an ihre Tür klopften und fragten, ob sie sie schon stören und den Teppich saugen dürften, und natürlich der alte Herr Pachulski. Nur an einer Person schien diese Erkenntnis bislang vorbeigegangen zu sein – ihrem Chef. Anne hielt an einer roten Ampel und suchte in ihrer Handtasche auf dem Beifahrersitz nach ihrem Handy. Als sie es gefunden hatte, tippte sie die Nummer ihrer besten Freundin ein. »Hallo, Angie, hier ist Anne. Hör mal, mein Engel, hast du gleich Zeit, dich mit mir zu treffen? Ich brauche unbedingt deine moralische Unterstützung. Du wirst nicht glauben, was mir heute passiert ist ... Fein. Wir treffen uns in einer halben Stunde vor dem Levante-Haus. Bis gleich.« Anne warf das Handy auf die Konsole und fuhr an. Die Ampel zeigte schon seit ein paar Sekunden grün, und die Autofahrer hinter ihr hupten und schimpften, als würde jede Einzelne davon mit Tonnen von Gold aufgewogen. Als ob sie alle so wichtig wären. Blödmänner. Dabei standen sie an der nächsten Ampel schon wieder. Alle. Auch die, die es offenbar so verdammt eilig hatten. Während Anne überlegte, wo sie wohl um diese Zeit die größte Chance hatte, einen Parkplatz zu finden, der nicht zu weit vom Levante-Haus entfernt war, ließ sie ihren Blick schweifen. Die beiden Männer im Nadelstreifenanzug, die gerade über die Straße gingen – einer mit Handy am Ohr, der andere mit einer Aktenmappe unter dem Arm -, waren bestimmt Anwälte. In dieser Gegend der Hamburger Innenstadt wimmelte es nur so von Kanzleien oder den Büroetagen von Großkonzernen mit eigener Rechtsabteilung. Ein asiatisch aussehendes Ehepaar stand an der Ampel und studierte mit ziemlich ratlosen Blicken einen Stadtplan. Ein junges Mädchen mit ungepflegten langen Haaren schlich träge den Bürgersteig entlang. Die Beine ihrer schmutzigen Hose schleiften auf dem Pflaster. Offensichtlich eine Drogensüchtige, die sich verlaufen hatte. Der Hauptbahnhof war ein gutes Stück entfernt. Diese Straßen gehörten den Rechtsanwälten, den Bankiers und Versicherungsleuten. Und die verkauften für gewöhnlich keine Drogen. Anne trommelte mit den Fingern auf ihrem Lenkrad herum und ärgerte sich mal wieder über die Hamburger Verkehrspolitik, die es nicht einmal schaffte, die Ampeln verkehrsgerecht zu schalten, als ihr ein Bild ins Auge fiel. Es war ein Bild im Schaufenster einer winzigen Kunsthandlung, von deren Existenz sie bisher nicht einmal gewusst hatte. Die Galerie lag etwa zwanzig Meter entfernt in einer Seitenstraße, die in die Hauptstraße einmündete. Und direkt vor der Tür war ein Parkplatz frei. Das war mehr als Glück. Das war Schicksal, Vorsehung, Kismet. Die Ampel wurde endlich grün, Anne setzte den Blinker, bog scharf nach rechts in die Seitenstraße ab und fuhr ihren Wagen in die kleine Parklücke. Wieder hupten einige Autofahrer hinter ihr, wieder hörte sie Schimpftiraden wie »blöde Kuh«, »dämliches Weib«, doch sie achtete gar nicht darauf. Sie schnappte sich ihre Handtasche, stieg aus dem Auto und ging über den schmalen Gehweg zum Schaufenster der Galerie. Sie war wie in Trance. Erst im letzten Moment wich sie einem alten Mann auf einem Klapprad aus. Das Fahrrad geriet ein wenig ins Schlingern, doch der Alte fing sich wieder und fuhr seelenruhig davon, als wäre nichts geschehen. Verwundert sah Anne ihm...