E-Book, Deutsch, 270 Seiten
Wunn / Selçuk Islam, Frauen und Europa
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-17-026407-6
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Islamischer Feminismus und Gender Jihad - neue Wege für Musliminnen in Europa
E-Book, Deutsch, 270 Seiten
ISBN: 978-3-17-026407-6
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
The debate on "Islamic feminism" and "gender jihad" is becoming increasingly relevant and growing in intensity in Europe, and especially in recent years in the German-speaking region. Within the context of Western feminism and Western feminist theology, intercultural and/or inter-religious dialogue is growing in importance, above all in the process of political decision-making. The articles in this book provide a comprehensive insight into this discourse focussing on the following main topics: Female Koranic exegesis and
textual hermeneutics - Islamic feminism and the discussion of social and political action strategies - Women's rights as human rights and the situation of Muslim women with and without a migrant background - Forms, tasks, and problem/conflict zones of intercultural and/or inter-religious dialogue.
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Theologische Grundlagen
Reflexion über die theologischen Prämissen der Methoden feministischer Koraninterpretation
Bertram Schmitz Vorbemerkung
Für die Koraninterpretation steht grundsätzlich eine Vielzahl von Ansätzen und Möglichkeiten zur Verfügung. Die feministische Exegese verwendet einige von ihnen, denen gerade durch die feministischen Perspektive eine spezifische Bedeutung zukommt. Diese Möglichkeit der Methoden unterscheidet sich zum Teil deutlich von denen, die etwa im Christentum für die Bibel oder speziell für das Neue Testament verwendet werden. Dies liegt vor allem daran, dass die jeweilige Textgrundlage einen völlig anderen Stellenwert hat: Geht es im Christentum darum, das Christusereignis anhand des Zeugnisses des Neuen Testaments auszulegen, zu verstehen und zu vermitteln, so bildet demgegenüber im Islam der Koran selbst das Eigentliche, das es auszulegen gilt. Der Unterschied von Personalreligion (Christentum) und Buchreligion (Islam) wird in diesem Gebiet der Auslegung besonders deutlich. Deshalb wird der christliche Leser in den folgenden Ausführungen mit anderen Fragestellung en konfrontiert, als er oder sie es bislang gewohnt ist. Für muslimische Lesende hingegen dürften die Fragen und Themen nahe liegend sein, auch wenn so lch eine reflektierend erwägende Zusammenstellung aus der Außenperspektive eher fremd erscheinen mag. Es wird vor allem darum gehen, welche impliziten Denkvoraussetzungen und welches Grundverständnis des Korans den jeweiligen Auslegungsmethoden zugrunde liegen und welche Bedeutung diesen für die feministische Exegese zukommt. Da es vor allem um diese Grundlagen geht, wurde auf direkte Zitate aus der feministischen Koranexegese verzichtet. Soll der Koran in seiner Ganzheit verstanden werden, wird jede zusätzliche Perspektive, die ihn grundsätzlich achtet, seinem universalen Anspruch weitere Tiefe verleihen. Im Folgenden wird es bei den einzelnen Beispielen weniger um den Auslegungsinhalt gehen. Vielmehr steht eine Reflexion über mögliche Auslegungsmethoden selbst im Vordergrund und die Frage, was sie für die feministische Koranauslegung in Theorie und Praxis bedeuten können. Eine Wertung dieser Methoden findet dabei nicht statt. Es liegt in diesem Fall an der religionswissenschaftlich betrachtenden Perspektive, dabei einzelne Methoden nebeneinander zu stellen. Über das sachliche Interesse des Religi onswissenschaftlers hinausgehend liegt meine eigene Motivation zu diesem Thema zum einen darin, dass ich während meiner Dozententätigkeit in einem Ausbildungsprojekt für Islamlehrer in Osnabrück (2004–2006) den Bereich feministischer Theologien in anderen Religionen ins Gespräch brachte und daraufhin von Studentinnen zum Islam befragt wurde. Zum anderen sehe ich in der feministischen Auslegung einen notwendig ergänzenden Teil der Koranauslegung und frage mich selbst dabei: Was passiert bei dieser Art von Auslegung, wie verändert sich die Bedeutung des Korantexts und wie wird diese Auslegungsweise von Musliminnen begründet? Zum dritten schließlich sehe ich in der Beschäftigung mit diesem Bereich eine Chance, miteinander ins Gespräch zu kommen, zwischen Männern und Frauen, Muslimen und Nichtmuslimen, Religionswissenschaftlern und religiösen Auslegern. Prämissen möglicher Methoden der Koranauslegung
Jeder religiösen Schrift werden Auslegungsweisen zugeordnet, die sie mit Schriften anderer Religionen teilt, und solche, die nur bei ihr allein Sinn machen. Dabei kann zunächst die Grundlage festgelegt werden, die die Schrift – religiös gesehen – bildet, die ausgelegt werden soll. Beim Koran wird in der religiösen Auslegung davon ausgegangen, dass der Koran insgesamt und in seiner vorliegenden Form von Gott offenbartes Wort darstellt. Sollte hingegen der Koran als von einem Menschen verfasste Schrift an gesehen werden, würden sich die religiösen Auslegungsmethoden deutlich verändern. Dies gilt bereits, wenn nur ein Teil des Korans als Menschenwerk angesehen würde. Sofort käme die Frage, welche Verse oder Abschnitte echt seien und damit Vorrang hätten, und welche Teile aus diesem Autoritätsanspruch auszuscheiden seien. Hierin liegt ein grundsätzliches Problem: Sollte damit begonnen werden, zunächst nur wenige Teile des Korans auszuscheiden, wäre nicht abzusehen, ob dieser Prozess je eine Ende nehmen würde, bis nichts mehr vom Anspruch des Korans übrig bliebe. Diese Gefahr mag als weiteres Moment die eingangs genannte Haltung feministischer Exegese erklären, den Offenbarungsanspruch des Korans keinesfalls in Frage stellen zu wollen. Was unter Offenbarung zu verstehen sei, kann dabei zunächst offen bl eiben. Im Folgenden wird dieser grundsätzliche Anspruch der Exegetinnen nicht in Frage gestellt. Der Koran bildet für diese Überlegungen die Grundlage, hinter die nicht zurückgegangen wird. Grundprämisse: Der Koran gilt insgesamt und in seinen Teil als von Gott offenbartes Wort. Er ist nicht Menschenwerk. Damit erhält der gesamte Koran in all seinen Worten gleichermaßen autoritativen Offenbarungsanspruch. In diesem Sinn soll der Koran im Folgenden als ewig verstanden werden. Dass er inhaltlich nicht gänzlich losgelöst von Raum und Zeit gedacht werden kann, wird schon allein dadurch möglich, dass er die damals gegenwärtige Situation aktuell in sich aufnimmt und interaktiv direkt auf sie reagiert. Dennoch muss er nicht an die Situation gebunden sein, d. h. seine Verse stehen zwar in Beziehung zur Situation (sie sind relational), aber sie müssen dadurch nicht bedingt sein (sie wären dann nicht relativiert). Dies sind zwei deutlich voneinander zu trennende Faktoren. Auf dieser Grundlage ergeben sich für den Koran – abgesehen von den klassischen normierten und anerkannten Auslegungsverfahren wie z. B. des Analogieschlusses (Qiyas) oder des Konsens (Idschma) – verschiedene Möglichkeiten der Auslegung. Diese Vielzahl der Auslegungsmöglichkeiten wird im Folgenden zumindest in einer Auswahl, weitgehend in Gestalt von Alternativpaaren, genannt. Auf diese Weise wird die Kontur des jeweiligen Verfahrens deutlich. Dabei wird die Spannung zu seinem je alternativen Pol hin fassbar. Zudem wird ein Eindruck von der Vielzahl der Möglichkeiten aufgezeigt, die z. T. explizit, zumeist aber implizit für die Koranauslegung angewendet werden bzw. angewendet werden könnten. Die meisten dieser Möglichkeiten werden im Verlauf der Darlegung nach ihrer Auswirkung für das Auslegungsergebnis hin befragt. Selbst wenn – wie als Grundprämisse für das Folgende festgelegt – der Koran im oben genannten Sinn als ewig, d. h. hier als Gottes Wort, angesehen wird, so kann doch seine Aussage entweder in wörtlicher Weise als unveränderlich verstanden werden, oder als kontextuell. Die unveränderliche Aussage kann wiederum juristisch oder ethisch, poetisch oder prosaisch, flexibel oder fixiert, ad sensum oder literalistisch, diskursiv oder normativ, gendergemäß oder patriarchalisch, traditionell oder progressiv, lexikalisch festgelegt oder den semantischen Raum ausschöpfend, chiffriert oder eindimensional, metaphorisch oder konkret, sich ergänzend oder durch zeitliche Ordnung abrogiert verstanden werden. Bei der kontextbezogenen Auslegung kommen noch weitere Aspekte hinzu: der Kontext kann als pagan, altarabisch religiös, jüdisch oder christlich verstanden und jeweils als situationsbedingt gesehen werden. Zum Teil überschneiden sich in der Praxis die einzelnen Bereiche; so kann etwa eine bestimmte Auslegung patriarchalisch, literalistisch und zugleich traditionell sein sowie etwa einen Bezug zum Christentum haben. Doch diese genannten Bereiche müssen nicht übereinstimmen und werden deswegen bei den weiteren Ausführungen getrennt. Darüber hinaus finden sich im Islam ohnehin verschiedene Rechtsschulen und Auslegungstraditionen – die jedoch alle von Männern dominiert sind und nur die Sichtweise von Männern repräsentieren. Wenn der Koran als universal verstanden wird – so könnte argumentiert werden – fehle damit die weibliche Seite der Auslegung, um ein weitgehend umfassendes Verständnis des Korans zu finden (und es fehlte die Auslegung der im Koran angesprochenen Nichtmuslime, um dieses Bild zu vervollständigen). Im Folgenden wird erörtert, was verschiedene Auslegungsweisen für die feministische Koranauslegung bedeuten bzw. bedeuten könnten, auf welchen theoretischen Grundvoraussetzungen sie beruhen müssten und welche Auswirkungen sie für die gelebte Praxis haben würden bzw. werden. Einige dieser Methoden werden bereits von Musliminnen verwendet, andere treten als mögliche Vorschläge hinzu. Die Darstellung der Methoden erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die angegebenen Beispiele dienen nur (!) dazu, die Methode anschaulicher zu machen, sollen aber selbst keine Auslegung im eigentlichen Sinn sein. Sie sind also in diesem Zusammenhang eher Mittel zum Zweck. Die Übersetzung der Koranverse ist von Hans Zirker (Der Koran) übernommen. Auf eigene Übersetzungen wurde schon aus dem Grund verzichtet, um nicht in den Verdacht zu kommen, eine eigene Exegese leisten zu wollen. Ebenso sollen die Beispiele zu nichts anderem dienen, als die unterschiedlichen Auslegungsarten ins Bewusstsein zu rücken. Dementsprechend handelt es sich nur um Skizzen. A. Der Koran in seiner allgemeinen Bedeutung
Mit dieser Prämisse wird davon ausgegangen, dass nicht nur der Koran nicht an Raum, Zeit und Situation gebunden ist (s. o. Grundprämisse), sondern dass auch seine Auslegung von solchen Momenten...