E-Book, Deutsch, 139 Seiten
Zeller Die Sonne! Früchte. Ein Tod
4. Auflage 2015
ISBN: 978-3-86913-600-4
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 139 Seiten
ISBN: 978-3-86913-600-4
Verlag: ars vivendi
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Das Gastmahl. Es klopfte an bei mir. Ich hatte meinen Dienst gerade für eine schöpferische Pause unterbrochen und feilte die Fingernägel. Paula stand in der Tür und behielt die Klinke in der Hand. Sie plane einen Anschlag auf mich für heute abend. »O, Sie haben sich verändert, Doktor«, sagte sie. Ich mußte überlegen, ehe ich mich an den Friseurbesuch vor Tagen erinnerte. »Es gefällt mir besser so, Ihr Haar. Sie sehen jünger aus.« »Wollen Sie nicht nähertreten, Paula?« beeilte ich mich und hob meinen Schreibtischstuhl ein Stück zur Seite. Es pochte in den Ohren. Jetzt lagen sie ja offen in ihrer ganzen Größe. Nein, nein, ihr Bild ... sie wolle mich nur fragen, ob sie mich nachher zum Abendessen einladen dürfe, außer Haus. »Machen Sie sich keine Gedanken, Doktor. Es ist nur ein kleiner Schabernack!« ermunterte sie mich, da ich schwieg. Was war zu tun? Ich sagte Ja. Auf der Straße empfing uns ein leichter, warmer Frühlingsregen. Paula trug ihren Wintermantel noch mit Pelzkragen und hielt die Hände in einem Muff. Sie wirkte sehr damenhaft getragen in dieser Aufmachung, was meine Beklommenheit an ihrer Seite nicht gerade schmälerte. Weit hatten wir nicht zu gehen. Wir überquerten den Boulevard Raspail und bogen in die Rue de Bagneux ein. Dort, vor der »Brasserie Universelle«, legte Paula ihre warme Hand auf die meine, trat eng an mich heran und gab mir leise ihre Anweisungen. Nun war diese Brasserie kein allererstes Haus, aber doch aufwendig genug, als daß ich es für mich allein je aufzusuchen hätte wagen dürfen. Was machte mich befangener? Paulas bestürzende Körperlichkeit so nah, in Atemweite, oder war es der Gedanke, mich von einer Dame einladen zu lassen, zumal, bei Licht besehen, keine Aussicht bestand, mich dafür zu revanchieren, denn ich war, wie wohl schon erwähnt, zur strengsten Finanzdiät gehalten. »Also, Doktor«, flüsterte Paula im Verschwörerton, obwohl weit und breit auf dem Trottoir kein Mensch sich um uns beide kümmerte, »greifen Sie feste zu beim hors d‘œuvre und schonen Sie den Brotkorb nicht. Es ist ja nur ein Spaß, Doktor, Sie brauchen keine Angst zu haben, ich habe schon Routine darin.« Wir betraten die Brasserie, das heißt, Paula zog mich halb hinter sich her. An der Kasse verhandelte sie kurz und zahlte einen geringen Geldbetrag. Wir suchten uns einen Platz an der langen Tafel, an der in diesem Lokal alle Gäste gemeinsam aßen, sehr eng aneinander sitzend. Was wir aßen, nahm ich in meiner Aufregung zuerst kaum wahr, aber es schmeckte vorzüglich. Dann stand der Kellner neben mir. Paula wies ihn an, sehr von oben, sich mit dem Wein noch zu gedulden. Wir wollten ihn erst zum Hauptgericht einnehmen. Überhaupt strahlte Paula in dieser Umgebung eine Sicherheit aus, die ich ihr zunächst nicht zugetraut hatte. Ja, sie wirkte festlich geradezu, wie sie da saß in ihrem schmucklosen Kleid und ohne jede Befangenheit, mit sichtlichem Genuß sich von dem hors d‘œuvre bediente, ganz so, als bewege sie sich tagtäglich in einem entsprechenden Rahmen. Aus ihrem gutbürgerlichen Habit stach lediglich die Korallenkette hervor, die sie sich, befremdlich genug, um ihr rechtes Handgelenk geschlungen hatte. Das strauchförmig verzweigte, blaßrote Tierskelett an ihrer Hand zwang sie zu einem besonders sorgfältigen Essen, zu einer gesteigerten Eleganz der Gabelführung. Das gab ihren Bewegungen eine Zierlichkeit, die ebenso kostbar wie doch auch wieder kindlich wirkte. Ich konnte jedenfalls meinen Blick nicht davon wenden. »Die habe ich für meine Tochter gekauft, damals, in meiner Brautzeit, es muß ..., ich glaube ... ja, es war in Dresden sogar, in meiner Geburtsstadt, bei einem Trödler.« »Und ... wo befindet sich Ihre Tochter derzeit, wenn ich ...« »Ich habe keine Tochter«, unterbrach mich Paula und widmete sich erst einmal wieder ausführlich ihren crudités. »Noch nicht ... oder bald ... oder nie. Wer das wüßte ... Nein, ich muß jetzt malen! Das ist beschlossene Sache. Ich muß es zu etwas bringen, bevor ich dreißig werde.« »Und ... und Ihr Gatte?« Diese Frage kostete mich keine kleine Überwindung. »Wir haben uns getrennt. Ich werde in Paris bleiben diesmal. Ich kehre nicht mehr nach Worpswede zurück.« Obwohl ich sie genau im Blick hielt, fiel mir in ihrem Gesicht keine Veränderung auf bei diesen Worten. Es lag weiter eine Gefaßtheit auf ihrem Gesicht, das voll war, fast rund, und manchmal sogar ein bißchen aufgeschwemmt wirkte, zumal dann, wenn Paula wie heute abend das Haar von einem Mittelscheitel nach hinten gebunden trug. Doch ihre Oberlippe, die ohnehin so schmal war, daß man sie beim Reden nur als eine Linie wahrnahm, hatte sich vielleicht noch etwas mehr verhärtet. Dort zog sich offenbar die Willenskraft der jungen Frau zusammen, die mich ängstigte und die ich gleichwohl auch bewundern mußte. »Und ... und Ihr Gatte?« Bewußt wiederholte ich den Wortlaut meiner Frage, um dadurch weniger indiskret zu erscheinen. »Otto? ... Muß damit leben. Und wird es auch. Er hat seine Malerei, und ich will die meine haben. Modersohn braucht das Leben nur als ein Ausruhen von der Kunst und kommt immer auf seine Rechnung. Er ist in Worpswede am rechten Platz. Aber ich, ich habe von Zeit zu Zeit den starken Wunsch, noch etwas zu erleben ...« »Das mag frivol klingen, ja«, gab sie mir als Antwort auf meine hochgezogene Stirn, »ichsüchtig, undankbar, was noch alles, ich weiß, ich weiß, zumal für eine Frau, ich habe es oft genug gehört! Ich danke sehr. Was man dem Mann gestattet, die Selbstverwirklichung als Künstler, das ziemt dem braven Weibe nicht, nicht wahr, das wollten Sie doch sagen, Doktor?« Ich tupfte jetzt lieber sorgfältig das Öl um meine letzte Sardine weg mit dem Brot, das Paula für uns beide nachbestellt hatte. »Aber das ist nur die eine Seite, Doktor. Die andere bleibt euch Männern, ja soll ich sagen: erspart? Nein, nein, ihr armen Wichte, ausgeschlossen seid ihr davon, ausgeschlossen auf ewig«. Paulas Stimme klang leiser und eindringlicher zugleich. Die Korallenhand lag neben dem Teller und hielt die Serviette fest. »Denn diese Mutterbotschaft, sie lebt doch immer noch in jedem Weibe. Und auch in mir, natürlich. Das ist alles so heilig. Das ist ein Mysterium, das für mich so tief und undurchdringlich und zart und allumfassend ist ... Ich beuge mich ihm, wo ich ihm begegne. Ich knie davor in Demut. Das und der Tod, das ist meine Religion, weil ich sie nicht fassen kann ... nicht fassen ... Das sind für mich die größten Dinge dieser Erde. Und dann die Kunst, das Malen, diese anderen Kinder auf der Leinwand, ganz von innen ... Die Spannung zwischen dem Leben und der großen Arbeit. Oder soll ich nicht eher von einer Feindschaft sprechen? Ich weiß ja nicht, Doktor, wie Sie das sehen, in welchen Verhältnissen Sie leben, aber ...« Der Kellner. Diesmal half er mir aus meinen Nöten. Er räumte unsere Teller ab. Ich wollte mir gerade die Serviette wieder in den Hosenbund stecken und formulierte an einer vorsichtigen Erwiderung, als Paula mich unter dem Tisch gegen das Schienbein trat, schon stand, den Mantel überm Arm, und hocherhobenen Hauptes, wenn auch geschwind das Lokal verließ. Ich stürzte ihr nach. Draußen erinnerte Paula mich an meinen Mantel. Ich hatte ihn bei der Flucht vergessen, und so mußte ich umkehren und unter den verachtendsten Blicken – es waren Flammendolche! – der langen Gästetafel zweimal ein Golgatha absolvieren, das mich die Grenze meiner Seelenkräfte streifen ließ. Aber das Lachen, mit dem mich Paula auf dem Bürgersteig empfing, entschädigte mich für das zuvor erlittene Kreuz vollauf. Paula hüpfte ausgelassen auf dem nassen Pflaster, mitten auf dem Fahrweg. Sie hatte sich eingehakt bei mir und zwang mich so zu einer hopsenden Gehweise, die ich nun überhaupt nicht schätze. Diese Frau schien mir ein zweigeteiltes Wesen zu sein. Nein, zerrissen war sie nicht, eher verdoppelt. Eben noch lag eine Erdenschwere über ihr, zuletzt, beim Tischgespräch. Auf diesem runden Gesicht hatten mir für Sekunden die Züge einer lehmigen Muttergottheit gedroht. Und jetzt, da sie neben mir ging, maß ich verstohlen ihr Profil und fand die Frau aus der Brasserie nicht wieder. Vogelhaft sah Paula von der Seite aus mit ihrer langen, schmalen Nase, spitz geradezu und jungmädchenhaft-frech. Dazu dieses Lachen über unseren gelungenen Streich. Welches ihrer Gesichter galt nun eigentlich? Woran sollte ich mich halten? Als wir am traumschwarzen Gemäuer des Katholischen Instituts vorbei in die Rue Cassette einbogen, lud ich Paula noch auf ein Glas Wein in ein Bistro, schräg gegenüber unserer Ateliers. Wir saßen auf jenen Eisenstühlchen, bei denen man sich jedesmal aufs neue wundert, daß sie, allem Augenschein spottend, durchaus nicht unbequem sind. Paulas unverstellte Offenheit machte es mir leicht in dieser Stunde, von mir und meinem persönlichen Lebensentwurf zu erzählen. Ich wartete, bis der Wein kam, ehe ich davon sprach, wie ich mich vor wenigen Jahren entschlossen hatte, meine bürgerliche Existenz zu liquidieren und fortan ganz der Kunst zu leben. In Mainz, wo ich mich niedergelassen hatte, weil mich die Stadt als Vorposten der Großen Französischen Revolution angezogen hatte, ein folgenschwerer Irrtum übrigens, wie sich dann herausstellte, nie fand ich geistigen Anschluß in dieser Stadt, in Mainz also hatte ich meine Gymnasialprofessur aufgekündigt. Doch das Brot des freien Schriftstellers: es brach sich hart, allzu hart beinahe. Ein schmales Bändchen mit Prosaskizzen, dem ich den Titel...