Zimmerling | Evangelische Mystik | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 283 Seiten

Zimmerling Evangelische Mystik


2. veränderte Neuauflage 2020
ISBN: 978-3-647-99963-0
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

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ISBN: 978-3-647-99963-0
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'Mystik ist katholisch. Mystik und Protestantismus passen nicht zusammen.' Diese Meinung ist weit verbreitet, aber trotzdem falsch. Stattdessen stellt sich das Verhältnis von Mystik und Protestantismus als eine Problemgeschichte dar. Phasen der Hochschätzung und solche der Ablehnung wechselten einander ab. Seit der Reformation gab es Männer und Frauen, die dem Mainstream des Protestantismus angehören, deren Glaube und Theologie mystisch geprägt waren. Martin Luthers (1453-1546) reformatorische Erkenntnis entsprang einer mystischen Erfahrung. Seine reformatorische Theologie war mystisch orientiert. Philipp Nicolai (1556-1608), Paul Gerhardt (1607-1676), Johann Sebastian Bach (1685-1750), Gerhard Tersteegen (1697-1769) und Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700-1760) verliehen in Liedern und Musik ihren mystischen Erfahrungen klassischen Ausdruck. Selbst Leben und Werk protestantischer Zeitgenossen aus dem 20. Jh. wie Dag Hammarskjöld (1905-1961), Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) und Dorothee Sölle (1929-2003) waren mehr oder weniger offensichtlich mystisch geprägt. Sölle bekannte sich klar zur Mystik als einer Angelegenheit nicht von wenigen, sondern von allen Menschen. Tatsächlich war protestantische Mystik von Anfang an keine Angelegenheit religiöser Eliten, sondern stand allen offen. Da die evangelischen Choräle mystisch geprägt waren und das Abendmahl mystisch verstanden wurde, bot gerade der lutherische Gottesdienst allen Christen Zugang zu mystischem Glauben.

Dr. theol. Peter Zimmerling ist evangelischer Theologe und Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Von 2012 bis 2020 war er Erster Universitätsprediger in Leipzig.

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2. Und es gab sie doch: Evangelische Mystikerinnen und Mystiker. Biografische Einblicke in die Geschichte der evangelischen Mystik 2.1 Martin Luther (1483–1546): Demokratisierung der Mystik Luthers Stellung zur Mystik ist in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand heftiger Kontroversen gewesen.1 Ich gehe im Folgenden davon aus, dass Luther Anliegen mystischer Theologie und Spiritualität positiv aufgenommen, diese aber im Sinne seiner reformatorischen Erkenntnisse neu interpretiert hat, speziell von der für ihn konstitutiven Rechtfertigungserfahrung her. Im Streit mit den Spiritualisten Thomas Müntzer, Kaspar Schwenckfeld und Sebastian Franck ging es um die richtige reformatorische Verhältnisbestimmung zu mystisch geprägten Glaubenserfahrungen. Dies darf nicht mit einer pauschalen Ablehnung der Mystik verwechselt werden.2 2.1.1 Neue Forschungsergebnisse In dieser mystischen Interpretation von Luthers Theologie und Spiritualität weiß ich mich verbunden mit einer Reihe von heutigen Lutherforschern, vor allem mit Überlegungen von Berndt Hamm und Volker Leppin, die diese u. a. in dem von ihnen herausgegebenen Werk „Gottes Nähe unmittelbar erfahren. Mystik im Mittelalter und bei Martin Luther, Spätmittelalter und Reformation“ vorgelegt haben. Das Buch markiert eine Revolution in der deutschen Lutherforschung: Luther wird darin ganz wesentlich als von der Mystik geprägter Theologe interpretiert. Das aus einer Sozietät hervorgegangene Buch setzt zwei Schwerpunkte im Rahmen der Veränderungsdynamik der abendländischen Mystik im Zeitraum vom 12. bis zum 16. Jh.: Der erste bezieht sich auf das 15. Jh. Dieses der Reformation unmittelbar vorausgehende Zeitalter erweist sich als Periode einer äußerst lebendigen Mystik, die allerdings gegenüber dem 14. Jh. tiefgehende Wandlungen durchmachte. Damit wird eine hartnäckige Forschungsmeinung überwunden, wonach das 15. Jh. ein unmystisches Zeitalter gewesen sei. Der zweite Schwerpunkt des Bandes liegt auf Martin Luther und seiner Stellung zur Mystik. Gegenüber der traditionellen Lutherforschung ergibt sich eine grundlegende Veränderung. Wurde schon früher davon ausgegangen, dass Luther traditionelle mystische Motive, Bilder und Begriffe rezipierte, diese allerdings umprägte und dadurch kein im eigentlichen Sinne mystischer Theologe war, so wird von den Autoren eine radikal andere Auffassung vertreten. Luthers reformatorische Theologie insgesamt habe mystischen Charakter und gerade die Entstehung seiner Theologie müsse als Ausbildung einer neuen Gestalt von Mystik verstanden werden. Der Band wird eröffnet mit einem voluminösen Beitrag von Andreas Zecherle über die Entstehung und den Inhalt der „Theologia Deutsch“, einem Traktat der mittelalterlichen Deutschen Mystik. Diese ist wegen ihrer Wirkungsgeschichte von großer Wichtigkeit. Sie hat Martin Luther stark beeinflusst. Er hat die „Theologia Deutsch“ als erster in zwei Auflagen 1516 und 1518 vollständig in den Druck gegeben. Darüber hinaus führte Luthers Hochschätzung der „Theologia Deutsch“ zu einer intensiven Rezeptionsgeschichte des Werkes in der lutherischen Kirche. Sowohl Johann Arndt als auch Philipp Jakob Spener sind ohne den Traktat nicht zu verstehen; überdies veranlassten beide eine Neuauflage der Schrift: Arndt 1597 und Spener 1681. Zecherle geht davon aus, dass die „Theologia Deutsch“ am Ende des 14. Jh. entstand. Die Ontologie ihres Autors ist neuplatonisch geprägt, wobei das gesamte Werk unter dem Einfluss Meister Eckharts und Taulers steht. Christoph Burger zeigt in seinem Artikel „Mystische Vereinigung – erst im Himmel oder schon auf Erden? Das Doppelgesicht der geistigen Literatur im 15. Jh.“ im Sammelband von Leppin und Hamm am Beispiel unterschiedlicher Konzeptionen der Unio mystica auf, welche Bandbreite mystische Vorstellungen im 15. Jh. erkennen lassen. Er weist nach, dass die Mehrzahl der mystischen Texte davon ausgehen, dass eine Vereinigung mit Gott erst im Himmel stattfinden wird. Im irdischen Leben bestehe die Aufgabe der Christen darin, das Kreuz zu tragen und auf diese Vereinigung zu warten. Jedoch gibt es eine Minderheit von mystischen Texten, die an Nonnen und Kanonikerinnen gerichtet sind, nach denen die Unio mystica bereits während des irdischen Lebens erfahren werden kann. Als Bräute Jesu Christi lag für die Nonnen die irdische Vorwegerfahrung der endgültigen Vereinigung mit Gott im Himmel nahe. Nach diesen Einzeluntersuchungen folgt der in systematischer Hinsicht entscheidende Artikel des ersten Buchteils von Berndt Hamm: „Gott berühren: Mystische Erfahrungen im ausgehenden Mittelalter. Zugleich ein Beitrag zur Klärung des Mystikbegriffs.“ Hamm stellt die Mystik des 15. Jh. als tiefgreifenden Transformationsprozess gegenüber dem 14. Jh. dar, ein Prozess, der sich seiner Überzeugung nach bei Luther im 16. Jh. fortsetzt. Kennzeichnend für die Transformation der Mystik im 15. Jh. sei die kritische Korrektur neuplatonisch geprägter Unio-Vorstellungen des 14. Jh., wie sie bei Meister Eckhart, Johannes Tauler, Heinrich Seuse, Jan Ruusbroec erkennbar werden. Entscheidend ist dabei Johannes Gersons Konzeption einer mystischen Theologie, die von einer bleibenden seinshaften Differenz zwischen Gott und Kreatur ausgeht. Dabei knüpft er an ältere mystische Vorbilder aus dem 12. und 13. Jh an, vor allem an die Liebes-und Passionsmystik des Zisterziensers Bernhard von Clairvaux. Hamm zeigt folgende weitere Veränderungen der Mystik des 15. Jh. gegenüber der des 14. Jh. auf: ihre Demokratisierung bzw. Popularisierung, die damit verbundene Konzentration auf die Christusliebe, die jedem Christen im Alltag möglich ist. Bevorzugte Orte mystischer Erfahrung bleiben auch im 15. Jh. die geistlichen Gemeinschaften. Dieser Bewegung einer popularisierten und diffundierenden Mystik steht ein mystikfeindliches Klima in großen Teilen der wissenschaftlichen Theologie gegenüber. Weil sich Mystik als ein dynamisches und vielgestaltiges Phänomen zeigt, ergibt sich das Problem der begrifflichen Prägnanz. Dieses wird angesichts der skizzierten Transformation des Mystischen dringlich. Hamm nähert sich einer Begriffsbestimmung, indem er auf Textbeispiele mystischer Erfahrungen zurückgreift und diese interpretiert. Danach ist für die mystische Erfahrung die Verflüssigung der Grenze zwischen der Heiligkeit des Schöpfers und der Unheiligkeit der sündigen Kreatur durch Gottes Geist und die Liebe des Menschen charakteristisch, wobei die Verflüssigung nicht Verwischung oder Aufhebung der Grenze zwischen Gott und Mensch meint, sondern ihre Durchlässigkeit symbolisiert. In der mystischen Erfahrung kommt es zu einem Umarmen und Küssen, zum Schmecken und Kosten Gottes. Es zeigt sich, dass in Aufnahme brautmystischer Vorstellungen Bernhards von Clairvaux solche Erfahrungen ganzheitlich interpretiert werden: Die Unio mystica umfasst gleichermaßen Geist und Leib. Die mystische Erfahrung wird als Vorwegerfahrung der eschatologischen Gotteserfahrung verstanden, wobei das Berühren und Schmecken Gottes die Erfahrung der Nähe Gottes meint. Im Himmel wird es zu einer neuen Form der Gottesberührung kommen, nämlich des entindividualisierenden Sehens und Hörens. Indem die Seligen im Himmel von ihrer irdischen Materialität befreit sind, geben sie ihren Eigenwillen auf und unterwerfen sich unter die Universalität Gottes. Damit wird die Entwicklung zwischen Unio mystica unter den Bedingungen der irdischen Existenz und der eschatologischen Unio als Entwicklung vom genießenden Individuum zur transindividuellen Selbstlosigkeit fassbar. Die endgültige Vollendung der Unio wirkt sich bereits auf die Gestalt der irdischen Unio aus, insofern als die sinnlich erfahrbaren Berührungen Gottes unter den Bedingungen der irdischen Existenz zunehmend als Durchgangsstadium verstanden werden. Im Lauf der Entwicklung wird die mystische Erfahrung mehr und mehr kreuzes- und anfechtungstheologisch gebrochen interpretiert. Im 15. Jh. kulminiert sie in der Gottesliebe, die immer geistiger, entsinnlichter und transzendenter verstanden wird. Auf dem Hintergrund dieser Entwicklungen kommt Hamm zu folgender Definition des Mystikbegriffs: Als mystisch ist eine Glaubenserfahrung zu charakterisieren, die sich als persönliche Erfahrung der unmittelbaren Nähe Gottes darstellt. Dabei wird eine solche Erfahrung als Prozess der Annäherung und Transformation des Menschen interpretiert. Gleichzeitig sind mystische Naherfahrungen eingebettet in die Grunderfahrung der Ferne Gottes. Die französische Mystikerin Marguerite Porete (verbrannt in Paris 1310) spricht in ihrem „Spiegel der einfachen Seelen“ von Gott als dem „Fernnahen“. Im zweiten Teil des Buches geht es um das Verhältnis Martin Luthers zur Mystik. Der Teil wird eröffnet mit Volker Leppins Artikel: „Transformationen spätmittelalterlicher Mystik bei Luther“. Leppin setzt ein mit einer kurzen Darstellung der Forschungsgeschichte und zeigt auf, dass die Beziehung zwischen Luther und der Mystik nach dem Zweiten Weltkrieg zuerst von der außerdeutschen Lutherforschung thematisiert worden ist. Er lehnt die von Kurt Flasch vertretene Auffassung ab, den Mystikbegriff aufgrund seiner Unschärfe überhaupt fallen zu lassen. Leppin versteht „mystisch“ als bezogen auf einen bestimmten textlichen Zusammenhang (in Aufnahme von Überlegungen des Mystikforschers Kurt Ruh). Ausgehend von dieser These zeichnet er in seinem Artikel den Traditionszusammenhang mit der spätmittelalterlichen Mystik nach, wie er bei Luther erkennbar wird. Entscheidend für dessen weitere Entwicklung waren Einflüsse von Bernhard von Clairvaux, die ihm über Staupitz, seinen Ordensoberen, vermittelt wurden. Neben Bernhard ist für Luthers Theologie vor allem Tauler als...



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