Fessler | Primitivistische Künstlerfiguren im Expressionismus | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 101, 297 Seiten

Reihe: Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur

Fessler Primitivistische Künstlerfiguren im Expressionismus

Der Echoraum von Gauguins "Going native" bei Carl Einstein, Carl Sternheim und Robert Müller
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7720-0174-1
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Der Echoraum von Gauguins "Going native" bei Carl Einstein, Carl Sternheim und Robert Müller

E-Book, Deutsch, Band 101, 297 Seiten

Reihe: Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur

ISBN: 978-3-7720-0174-1
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gottfried Benns Künstlerfigur lässt sich ein Pferdeauge implantieren, um neue Kunst zu schaffen. Robert Müllers Protagonisten 'verwildern' im guyanischen Urwald und bringen im Delirium eine Kunsttheorie hervor, die Gewalt und Tod ästhetisiert. Carl Einstein propagiert die unerreichbare 'Negerplastik', bei deren Imitation die zeitgenössischen primitivistischen Künstler:innen nur scheitern können. Die vorliegende Studie analysiert das 'Going native' von Paul Gauguin in der Südsee und die Künstlerfiguren und theoretischen Texte der expressionistischen Generation, die diesem grossen Vorbild Tribut zollen. Die Texte diskutieren das Dilemma des 'Verwilderns' und die Möglichkeiten künstlerischer Grenzgänge.

Dr. Ladina Fessler promovierte am Deutschen Seminar der Universität Basel in Neuerer Deutscher Literatur. Sie studierte Deutsche Philologie und Kunstgeschichte an den Universitäten Basel und Leipzig.

Fessler Primitivistische Künstlerfiguren im Expressionismus jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Grundlage und Fragestellung
„Man braucht nur die Titel all dieser tollwütigen Pinseleien zu lesen, um zu wissen, dass es sich hier wirklich nicht um Malerei, sondern um Kaffeehausliteratur handelt.“ Diese Aussage des Kunstkritikers Robert Breuer in seiner Rezension des Ersten Deutschen Herbstsalons (1913) im Dresdner Vorwärts ist unüblich. Wohl entspricht dieser Auszug der gängigen Schmähung moderner Kunst und es wird mit dem Bild des tollwütigen Künstlers das eingefahrene Argument psychischer und physischer Devianz aufgerufen, um die „primitivistischen“ Tendenzen in der neuesten bildenden Kunst zu beschreiben. Dennoch: Hier steht als primäre Referenz des neuen Kunstverständnisses, das meist über sehr konkrete Imitationsverhältnisse gedacht wurde, für einmal dem bildenden Künstler kein „primitiver“ Indigener, „Wilder“ oder gar Affe gegenüber. Es wird kein exotisches, „rassisch minderwertige[s]“ Gegenüber aufgerufen, sondern der Kaffeehaus-Literat. Dass jener in den 1910er-Jahren jedoch nicht die erste Referenz für die Beschreibung „primitivistischer“ Kunst ist, zeigt diese Presseschau im Sturm (s. insbesondere den Abschnitt rechterhand unter dem Titel „Lexikon der deutschen Kunstkritik“): Die Presse und der Herbstsalon. Eine Gegenüberstellung/Lexikon der deutschen Kunstkritik. In: Der Sturm, Nr. 182/183 (1913) „Bunthäutige Tölpel“, „Neger im Frack“, „Hottentotten im Oberhemd“, „Horde farbspritzender Brüllaffen“, „Malbotokuden“ – Die kunstkritische Blütenlese, die Herwarth Walden im Oktober 1913 zum Anlass des Ersten Deutschen Herbstsalons sammelt, vermag schön aufzuzeigen, dass die meisten und prägendsten Bilder und Bezeichnungen für den ‚neuen‘ Künstlertypus auf die „primitive“ Kunst und Kultur indigener Stammesgesellschaften referieren. Die Bezugsetzung, die im übrigen auch der oben genannte Kunstkritiker Robert Breuer einsetzt, funktioniert in den negativen Polemiken nach der rassendeterministischen Logik der konservativen Modernekritik eines Max Nordau. Dieser polemisierte in seiner populären Schrift Entartung (1892/93) gegen die kranke Gegenwartskunst und charakterisierte die Künstler als „Wilde“: Sie lallen und stammeln statt zu sprechen. Sie stossen einsilbige Schreie aus, statt grammatikalisch und syntaktisch gegliederte Sätze zu bauen. Sie zeichnen und malen wie Kinder die mit unnützen Händen Tische und Wände beschmutzen. Sie machen Musik wie die gelben Menschen Ostasiens. Sie mischen alle Kunstgattungen durcheinander und führen sie zu den Urformen zurück, die sie hatten, ehe die Entwicklung sie differenziert hat. Bekanntlich teilt die moderne und avantgardistische Gegenseite diese Logik der Devianz nicht. Für deren Visionen des modernen „Künstler ausserhalb der Zeit“ (Herwarth Walden) ist die Auseinandersetzung mit der aussereuropäischen „primitiven“ Kunst und Kultur jedoch zweifellos zentral. Viele Künstler/innen der 1910/1920er-Jahre lassen sich von indigener Kunst inspirieren und wollen zum „Wilden“ werden. Franz Marc bezeichnet die Expressionisten im Almanach des Blauen Reiters als „Wilde Deutschlands“. Mit seinen Mitstreitern ruft er darin gleichsam zu einer Transformation zum „Wilden“ auf. Von Paul Gauguin über den einsamen alten Paul Cézanne, der sich selbst um 1903 als „Primitiver“ einer neuen Kunst bezeichnet („le primitif d’un art nouveau“), zu August Strindberg, von dem überliefert ist, dass Gauguin in ihm den Drang ausgelöst hat, ebenfalls zum „Primitiven“ zu werden und eine neue Welt zu kreieren, zu den Futuristen, Expressionisten und Dadaisten – viele Künstler der Moderne sprechen über ein Ziel der „Verwilderung“. Eine wichtige Referenzfigur ist Ihnen dabei Arthur Rimbaud, der ein „primitives Vaterland“ („patrie primitive“) besang und dessen Ausspruch „je suis une bête, un nègre“ viele avantgardistische „Verwilderungen“ in Kunst und Literatur inspirierte. Joachim Schultz fasst in seinem Wörterbuch zum „Primitivismus“ folgendermassen zusammen: „Ein wildes Leben war für viele Schriftsteller und Künstler in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eine Grundbedingung für eine neue Kreativität.“ Diese „Grundbedingung“ eines „wilden Lebens“ fand bekanntlich unterschiedliche Auslegung und Umsetzung. Die Künstler orientierten sich an einem äußerst dehnbaren Begriff und Konzept „primitiven“ Lebens, Kultur und Kunst und bezogen sich nicht nur auf aussereuropäische Kunst und Kultur, sondern auch auf europäische Volkskunst, Kunst von Kindern und psychisch Kranken. Es ist unbestritten, dass sich der „Primitivismus“ nicht in einem einfachen interkulturellen Imitationsverhältnis erschöpft, wie es viele Bilder für den modernen Künstler suggerieren. Rudolf Breuer fokussiert bei seiner beiläufig geäusserten Verknüpfung des bildkünstlerischen „Primitivismus“ mit der Literatur auf den europäischen Künstler und argumentiert inneravantardistisch. Er fasst die Entwicklung der Kunst nicht aus der interkulturellen Perspektive und stellt das Schema der Beeinflussung im „Primitivismus“ auf den Kopf, indem er die Malerei von der Literatur her betrachtet. Auch die vorliegende Studie nähert sich dem „Primitivismus“ über eine inneravantgardistische Perspektivierung: Sie fragt nach der Rezeption des bildkünstlerischen „Primitivismus“ in der expressionistischen Literatur der 1910er und 1920er-Jahre und nimmt diesen im Spiegel der Literatur in den Blick. Im Zentrum der Untersuchung stehen fiktive „primitivistische“ Künstlerfiguren. Ursprünglich orientierte sich die Studie an konventionellen interkulturellen und intermedialen Fragestellungen. Ich fragte: Inwiefern entsteht die avantgardistische Kunst – im spezifischen Fall die expressionistische Literatur – aus der Anverwandlung und Aneignung der sogenannten „primitiven“ Kunst, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts so verehrt wurde? Welcher Art sind die Aneignungsstrategien der Künstler und wie manifestieren sich die interkulturellen Verhältnisse in der Literatur? Solche Fragen, die auf die interkulturelle Anverwandlung zielen, waren für die „Primitivismus“-Forschung lange massgebend. Auch für den Forschungszusammenhang, in welchem die Dissertation entstand, standen solche konventionellen Fragen nach der interkulturellen Interaktion im Vordergrund. Das interdisziplinäre Sinergia-Projekt Imitation – Assimilation – Transformation des Schweizerischen Nationalfonds, der Erforschung von „Epistemologien, Praktiken und Semantiken der Anverwandlung in Kunst und Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts“ verschrieben, richtete die Aufmerksamkeit auf die Beschreibung der Formen und Funktionsweisen mehr oder weniger konkreter interkultureller Zusammenhänge. Doch von dieser Perspektive auf die Prozesse von Aneignung hat sich das folgende Projekt mehr und mehr gelöst. Ausgangspunkt für die Entwicklung des Rahmens der Studie war dabei das Basler Teilprojekt unter dem Titel „Poetik der Anverwandlung in der ethnographischen Situation“ mit seinem dezidiert intermedialen und interdisziplinär formulierten Programm. Das Basler Projekt fokussierte die Problematik der Vermittlung der interkulturellen Konzepte und rückte die (intermediale) Reflexion der Prozesse der Anverwandlung ins Zentrum. Die Forschungsarbeit umgeht mit den literarischen Künstlerfiguren die klassischen Fragen der kunsthistorischen „Primitivismus“-Forschung nach Art und Grad der jeweiligen künstlerischen Anverwandlung aussereuropäischer Kunst. Auch schlägt sie nicht die typischen Pfade der Forschung zum literarischen „Primitivismus“ ein. Es wird in der Studie nicht aufgezeigt, was parallel zum bildkünstlerischen „Primitivismus“ in der Literatur geschieht und dezidiert nicht nach der Aneignung fremder Kunst und „primitiven“ Denkens in der Literatur gefragt. Sie beschäftigt sich nicht mit dem spezifischen Referenzobjekt des literarischen „Primitivismus“, insbesondere nicht mit dem „Übertragbarkeitsproblem“ des bildkünstlerischen Begriffs auf die Literatur, das noch jüngste Überblicksdarstellungen zum literarischen Primitivismus in Anspruch nahm. Untersucht wird hier ein spezifischer Ort intermedialer Auseinandersetzung in der Literatur: das literarische Sprechen über den „primitivierenden“ bildenden Künstler, die „primitivierende“ bildende Künstlerin. Die literarischen Künstlerfiguren interessieren als interkulturelle Reflexionsfiguren – als Manifestationen der Auseinandersetzung mit der meist als extrem imaginierten und inszenierten interkulturellen Anverwandlung im bildkünstlerischen „Primitivismus“. Mit der Einnahme dieses Blickwinkels wird in dieser Arbeit dafür plädiert, das Phänomen „Primitivismus“ in der modernen Kunst als erweiterte „Faszinationsgeschichte“ zu lesen. In dieser kommt dem europäischen „primitivistischen“ Künstler als potentem Interpreten und Bildgenerator gegenüber dem Faszinations-‚Objekt‘ des/der „Primitiven“ und der „primitiven Kunst“ nicht nur Subjektstatus zu. Der Künstler ist durch seine Aneignung, seine Verkörperung der „primitiven“ Phantasien seinerseits mehrfach als ‚Objekt‘ in die Geschichte des Paradigma des „Primitiven“ eingewoben. Claudia Öhlschläger skizziert eine...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.