Heimbach-Steins / Kruip / Kunze Bildungsgerechtigkeit - Interdisziplinäre Perspektiven
Bibliotheksvertrieb über utb scholars
ISBN: 978-3-7639-4234-3
Verlag: wbv Media
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 227 Seiten, PDF
Reihe: Forum Bildungsethik
ISBN: 978-3-7639-4234-3
Verlag: wbv Media
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
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Bildungsgerechtigkeit
Inhaltsverzeichnis des Buches
I. EINLEITUNG
Marianne Heimbach-Steins: Schlüssel zur Welt. Bildung als sozialethische und sozialpolitische Herausforderung
II. SOZIALWISSENSCHAFTLICHE PERSPEKTIVEN
Hans-Peter Blossfeld/Thorsten Schneider: Das Nationale Bildungspanel
Werner Schönig: Mangelnde Bildungsgerechtigkeit als politischer 'Skandal' - Handlungsstrategien gegen Kollateralexklusion bei Normbruch, Überraschung und Konflikt
Hans Dietrich: Bildungsinstitutionen und Bildungsentscheidungen - zum Zusammenhang von Gelegenheitsstrukturen und inviduellem (familialem) Handeln - oder: Warum ist soziale Herkunft in Deutschland so entscheidend für den individuellen Bildungserfolg?
III. BILDUNGSÖKONOMISCHE PERSPEKTIVEN
Alexander Filipovic: Güter und Kapital als Begriffe in der bildungsethischen Diskussion
Norman van Scherpenberg: Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit - zwei ökonomisch unzureichende Ansätze
Gerhard Kruip: Bildungsfinanzierung - aktuelle Entwicklungen und sozialethische Perspektiven
IV. SOZIALETHISCHE PERSPEKTIVEN
Katja Neuhoff: Bildung als Voraussetzung für eine Kultur der Verständigung
Axel Bernd Kunze: Bildung als Freiheitsrecht. Zum Zusammenspiel von freier Persönlichkeitsentfaltung, realer Freiheit und pädagogischer Wahlfreiheit
Marianne Heimbach-Steins: Das Menschenrecht auf Bildung - Maßstab des sozialen Bildungsauftrags katholischer Schulen
V. PÄDAGOGISCHE PERSPEKTIVEN
Wolfgang Hinrichs: Kulturpädagogik und Lehrerbildung. Sprangers klassisches Konzept einer neuen Werteordnung
Axel Bernd Kunze: Verantwortungsbildung als Teil von Generationengerechtigkeit. Überlegungen zum Verhältnis von Bildung, Kultur und Werterziehung
Einführung: Bildungsgerechtigkeit – die soziale Frage der Gegenwart. Eine Skizze (S. 13)
Marianne Heimbach-Steins
Die Charakterisierung der spätmodernen globalisierten Gesellschaft als „Wissensgesellschaft" weist darauf hin, dass die Möglichkeit, aktiv an den gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen, nicht zuletzt davon abhängt, ob und wie Menschen Wissen erwerben und sich aneignen können.
Dazu sind Bildungsprozesse unabdingbar notwendig. Aber Bildung ist weit mehr als die Aneignung von Wissen – nämlich Formung der Persönlichkeit, Gewinn von Orientierung in der Welt, Aneignung von Fähigkeiten und Kompetenzen für eine selbständige und verantwortliche Lebensführung. Bildung – genauer gesagt: der freie Zugang zu und die Möglichkeit zur Teilnahme an freiheitsadäquaten, qualitätvollen und der Lebenswirklichkeit entsprechenden Bildungsangeboten sowie die Chance zur Menschenrechtsbildung – gilt deshalb heute als Menschenrecht.
Denn als Persönlichkeits- und Allgemeinbildung, als berufliche Ausbildung und als lebensbegleitende Bildung ist sie für alle Mitglieder des Gemeinwesens eine unverzichtbare Voraussetzung für die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und die Verwirklichung personaler Freiheit, für Beteiligung am sozialen und ökonomischen Prozess ebenso wie für das verantwortliche Zusammenleben in einer freiheitlichen Gesellschaft, in sozialer Gerechtigkeit und Frieden.
Aber die realen Chancen zur Bildungsbeteiligung sind höchst ungleich verteilt – für Deutschland haben die internationalen Schulleistungsstudien die gegenüber anderen Industrieländern besonders enge Korrelation zwischen sozialer Herkunft und Bildungsbeteiligung immer wieder belegt, auch nach Jahrzehnten einer immer wieder aufflammenden Bildungsdebatte liegt das Ziel „Bildungsgerechtigkeit" in weiter Ferne.
Erst recht liegen die Disparitäten im globalen Horizont offen zutage. Für sehr viele Menschen in Entwicklungsgesellschaften wie auch für bestimmte benachteiligte Gruppen in hoch entwickelten und wohlhabenden Gesellschaften – in Deutschland z. B. für Menschen mit Migrationshintergrund, ganz besonders aber für Menschen ohne oder mit unsicherem Aufenthaltsstatus (vgl. u. a. Krappmann/Lob-Hüdepohl/ Bohmeyer/Kurzke-Maasmeier 2009), aber auch für Menschen mit einer Behinderung (vgl. Motakef 2006, Muñoz 2007) – ist das Menschenrecht auf Bildung nur höchst unzureichend verwirklicht. Die Beteiligung an Bildung gilt deshalb weltweit als eine der großen sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts.
1 Herausforderungen der Bildungsgerechtigkeit
Als unerlässliche Ressource personaler Selbstentfaltung, gesellschaftlicher Entwicklung und volkswirtschaftlichen Wohlstands ist Bildung ein hohes Gut, das durch materielle und ideelle Anstrengungen aller gesellschaftlichen Kräfte gesichert und vermehrt werden muss. Im Interesse einer umfassenden Befähigung und Entfaltung der Person gehören allgemeine Persönlichkeitsbildung und funktionale Bildung zusammen.
Beides muss in allen Phasen eines lebenslangen Bildungsprozesses ausgewogen Berücksichtigung finden. Angesichts einer gewissen Dominanz funktionaler Gesichtspunkte in gegenwärtigen Bildungsstrategien ist das Kriterium der Persongerechtigkeit besonders zu unterstreichen, hierfür kann auf das Menschenrecht auf Bildung verwiesen werden:
Dass Bildung ein Menschenrecht ist, kann mit der Einsicht begründet werden, dass Bildung für die Enkulturation des Menschen, für seine umfassende Persönlichkeitsentwicklung und gesellschaftliche Partizipationsfähigkeit schlechthin notwendig ist. Wohl kaum zufällig legt die bisherige Ausgestaltung dieses Menschenrechts in internationalen Erklärungen und Konventionen einen deutlichen Akzent auf Persönlichkeitsbildung und politische Bildung, ohne Aspekte der Ausbildung und Berufsorientierung zu vernachlässigen (vgl. Heimbach-Steins 2005).
Ein ganzheitlich personorientiertes Verständnis lässt mit der heute unumstrittenen Schlüsselbedeutung von Bildung für gesellschaftliche Beteiligung und wirtschaftlichen Wohlstand den Zusammenhang zwischen Bildung und Gerechtigkeit deutlich hervortreten.
Hier schließen sich Fragen der kontributiven und der distributiven Gerechtigkeit an, zum Beispiel: Wer hat in welcher Weise und in welchem Umfang Bildungsgüter bereitzustellen? Wer hat in welchem Umfang Anspruch darauf, und wer hat welche Kosten zu tragen?