E-Book, Deutsch, Band 12, 229 Seiten
Hoppe Raum und Zeit der Städte
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-593-41235-1
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Städtische Eigenlogik und jüdische Kultur seit der Antike
E-Book, Deutsch, Band 12, 229 Seiten
Reihe: Interdisziplinäre Stadtforschung
ISBN: 978-3-593-41235-1
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Städte sind in einer spezifischen Landschaft angesiedelt, welche sich mit ihnen verändert und sie ihrerseits prägt. Ihre Bewohner durchleben eine eigene Geschichte durch die Jahrhunderte, in denen sich verschiedene Formen der Vergesellschaftung, des Handels und des kulturellen Lebens herausbilden. In diesem Band fragen Historiker, Architekten, Soziologen und Geowissenschaftler nach dem Spezifikum – der Eigenlogik – einzelner Städte vor dem Hintergrund räumlicher Prägung und historischer Entwicklung. Dabei führt der Bogen von Städten des Imperium Romanum über Mittelalter und Neuzeit bis hin zum 20. und 21. Jahrhundert. Der Schwerpunkt liegt auf Städten mit jüdischem Leben und auf dem Mittelmeerraum.
Mit Beiträgen von J. Friedrich Battenberg, Helmuth Berking, Franz Bockrath, Mikael Hård, Andreas Hoppe, Franziska Lang, Martina Löw, Annette Rudolph-Cleff, Dieter Schott, Michael Stahl und Marie-Christin Wedel.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Vorwort;8
3;»Jede Stadt ist ein Seelenzustand« – Über städtische Vergesellschaftung und Identitätsanforderung – Martina Löw;12
4;Geowissenschaften und die Eigenlogik der Städte – Andreas Hoppe;26
5;»Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile« – Eigenlogik und archäologische Städteforschung – Franziska Lang;48
6;»Nun blühen alle Städte der Griechen« – Stadtkultur im Imperium Romanum – Michael Stahl;80
7;Städte und ihre Ressourcen in der Geschichte: Blicke über und aus Europa – Dieter Schott;96
8;Juden in der vormodernen Stadt zwischen Integration und Ausgrenzung – J. Friedrich Battenberg;118
9;»Judengeschäfte« – Warenhäuser im urbanen Kontext 1876–1938 – Mikael Hård und Marie-Christin Wedel;144
10;Übertrag und Neuanfang – Der Internationale Baustil in Tel Aviv – Annette Rudolph-Cleff;168
11;»Muskeljudentum« – zwischen städtischem Individualismus und großstädtischer Indifferenz – Franz Bockrath;188
12;Imaginäre Geographie – Was wäre, wenn … Berlin und Jerusalem Nachbarn wären? – Helmuth Berking;216
13;Autorinnen und Autoren;230
Juden in der vormodernen Stadt zwischen Integration und Ausgrenzung (S. 117-118)
J. Friedrich Battenberg
1.
Wenn man die Forschungen der letzten dreißig Jahre zur Geschichte der Juden der vormodernen Zeit in nichtjüdischer Umwelt in wenigen Worten zusammenfassen wollte, so würden darin die Pole »Integration« und »Ausgrenzung «, vielleicht sogar »Inklusion« und »Exklusion«, an zentraler Stelle vorkommen. Nicht zufällig tauchen diese Begriffe in jüngster Zeit in zahlreichen Buch- und Aufsatztiteln auf, wenn sie sich mit den christlich-jüdischen Beziehungen befassen, und bezeichnenderweise wurde die sehr vielfältige Themen zur deutsch-jüdischen Geschichte umfassende Festschrift für Hans Otto Horch mit den Worten »Integration und Ausgrenzung« betitelt (Gelber et al. 2009).
Für wohl keine andere Minderheit der europäischen Geschichte der Vormoderne kann die Spannweite existentieller Lagen und Begrenzungen in dieser Weise besser umschrieben werden als für die Juden. Keine andere soziale Gruppe im vormaligen Heiligen Römischen Reich – denn von dieser Region soll hier im Folgenden vornehmlich die Rede sein – sah sich einer derart großen Variationsbreite von rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen ausgesetzt wie die Judenheit.
Friedliche Nachbarschaft mit Christen unter nahezu gleichberechtigten kulturellen Rahmenbedingungen und das Bewusstsein, im Grunde aufeinander angewiesen zu sein, wechselten mit bisweilen tödlichen Auseinandersetzungen ab, die nicht selten mit Diskriminierungen, einem sozialen mobbing und Verschlechterungen rechtlicher Rahmenbedingungen begannen und mit Verfolgungen, Vertreibungen und Ermordungen endeten – und dies alles in zeitlicher Parallelität (siehe dazu die grundlegende, sich allerdings mehr auf den ländlichen Raum beziehende Monographie von Sabine Ullmann 1999: insb. S. 382 ff.).
Insofern können die folgenden Ausführungen in einen größeren Zusammenhang der historischen Forschung eingeordnet werden. In zwei grundlegenden Aufsätzen (Battenberg 1996, 1997) ist bereits vor einiger Zeit versucht worden, die Pole »Integration« und »Segregation« – wie sie dort genannt wurden – theoretisch näher zu fassen und methodisch soweit in den Griff zu bekommen, dass sie operativ bei der Beschreibung und Analyse einschlägiger Quellen verwendet werden können. Doch es muss auch davor gewarnt werden, diese beiden beschriebenen Existenzpole allzu starr und schematisch zu handhaben (Battenberg 2001: 101).
Es müssen vielmehr Differenzierungen nach Regionen wie auch nach Schichten eingeführt werden (Battenberg 1997: 96f.). Urbane oder agrarische Lebensformen, Sesshaftigkeit oder Mobilität sowie stratifikatorische Zuordnungen sind relevante Bemessungsfaktoren zur Beurteilung des Grades der Integration von Juden in ihre Umwelt (Daxelmüller 1999: 293). Mit anderen Worten: Die Frage danach, wieweit die
Juden der Vormoderne in die christliche Gesellschaft integriert oder von ihr ausgeschlossen waren, kann nicht einheitlich beantwortet werden: Es macht einen Unterschied, ob es sich um städtische oder auf dem Land wohnende Juden handelte, ob sie der Elite der Hofjudenschaft (siehe Battenberg 1999) und des Rabbinats, ob diese dem mit Schutz- und Geleitsbriefen versorgten Mittelstand angehörten oder ob sie als so genannte Schalantjuden und später als Betteljuden (Guggenheim 2000) unterhalb des existentiellen Minimums leben mussten.