E-Book, Deutsch, 176 Seiten
nifbe / Alsago / Fuchs-Rechlin Fachberatung auf dem Weg zur Profession?
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-451-82938-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-451-82938-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Teil I
Wissenschaftliche Grundlagen
Fachberatung als zentraler Schlüssel zur Qualitätsentwicklung
Aktuelle Verortung, Bedeutung und Perspektiven Christa Preissing / Karsten Herrmann Das System der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung ist in den vergangenen Jahren durch einen gravierenden Wandel gekennzeichnet. Auf der einen Seite steht hier infolge des bundesweiten Rechtsanspruchs auf einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz der massive quantitative Ausbau der Plätze für Kinder unter drei Jahren – so hat sich die Zahl der in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege betreuten Kinder innerhalb von gut zehn Jahren auf heute mehr als 750.000 fast verdreifacht. Auf der anderen Seite stehen der qualitative Anspruch und die damit in den letzten Jahren stetig gestiegenen Anforderungen an pädagogische Fachkräfte bei stagnierenden oder sich nur leicht verbessernden Rahmenbedingungen – von der Eingewöhnung über Sprachförderung, Zusammenarbeit mit Eltern oder sozialräumliche Vernetzung bis zur aktuellen Aufnahme von Kindern mit Fluchthintergrund und dem zu realisierenden Projekt der Inklusion. Die Verantwortung für eine fachlich fundierte, qualitativ hochwertige pädagogische Praxis kann dabei nicht alleine dem pädagogischen Personal zugeschrieben werden, das die unmittelbare Arbeit mit Kindern leistet. Sie kann vielmehr nur in gemeinsamer und abgestufter Verantwortung aller im System tätigen AkteurInnen geleistet werden: Bund, Länder, Träger und ihre Verbände, Leitungskräfte und pädagogische Fachkräfte stehen damit in einer Verantwortungsgemeinschaft. Eine zentrale Rolle spielt hierbei auch eine Fachberatung, die die jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungen mit Blick auf ihre Auswirkungen für die pädagogische Praxis auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse aufbereitet, systematisiert und einer Bewertung zugänglich macht. Diese zentrale Rolle der Fachberatung wurde lange Zeit weithin unterschätzt und ist erst seit relativ kurzer Zeit (wieder) in den Fokus von Wissenschaft und Politik geraten. Ein Grund dafür dürfte die bis heute im Hinblick auf Aufgaben, Ressourcen oder strukturelle Einbettung äußerst heterogen aufgestellte und länderrechtlich kaum verankerte bzw. konkretisierte Fachberatungspraxis sein. Im Folgenden werden nun auf der Grundlage der im Rahmen der Debatte für ein KiTa-Qualitätsgesetz für das Bundesfamilienministerium verfassten Expertise »Fachberatung im System der Kindertagesbetreuung« einerseits der Status quo der Fachberatung und zum anderen die Bedeutung der Fachberatung für das System der Kindertagesbetreuung näher beleuchtet und Schlussfolgerungen für ihre Ausgestaltung und Veränderungen gezogen werden. Das Kapitel schließt mit acht zentralen Empfehlungen zu Rahmenbedingungen und Profil von Fachberatung, mit denen diese zu einem effektiven Steuerungs- und Unterstützungsinstrument für die Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Kindertagesbetreuung werden kann. Status quo
Über die tatsächliche Situation der Fachberatung im System der Kindertagesbetreuung gibt es erst erstaunlich wenige gesicherte Erkenntnisse (vgl. hierzu die Darstellung des Forschungsstandes auf S. 102 ff.) und sie erscheint von außen zunächst ungeregelt und undurchschaubar. Dies hat seine Ursache sicherlich auch in ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte, in der sie sich eher naturwüchsig im Rahmen einer sehr heterogenen Trägerlandschaft und in jeweiliger Anpassung an aktuelle Bedürfnisse entwickelt hat (vgl. hierzu die exemplarische Darstellung der Entwicklung der Fachberatung in Niedersachsen auf S. 57 ff.). So entstanden »unterschiedliche Definitionen, Formen, Ausgestaltungen und Arbeitsprinzipien […], die mit verschiedenen Arbeitsaufträgen und Arbeitskonstruktionen verbunden sind (Herrenbrück/Kägi/Karsten/Müller 2011, S. 4). Diese Entwicklung der Fachberatung wurde durch eine wissenschaftliche oder fachpolitische Auseinandersetzung weder kontinuierlich begleitet noch beeinflusst oder gar gesteuert. Zur aktuellen strukturellen Verankerung der Fachberatung resümierte Münch 2010: »So vielfältig wie die Trägerlandschaft im Feld der Kindertagesbetreuung, so vielfältig ist auch die Verankerung der Fachberatung. Dazu kommt noch, dass je nach Zielsetzung des Trägers ganz unterschiedliche Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten für die Fachberatung vorgesehen sind« (ebd., S. 47). Strukturelle Verankerung
Grundsätzlich zu unterscheiden sind vier Formen der strukturellen Verankerung: 1. Fachberatung durch die öffentliche Jugendhilfe
Die FachberaterInnen sind hier in der Regel direkt beim Jugendamt angestellt und können auf die dort gegebenen Infra- und Kommunikationsstrukturen zurückgreifen. Primär richtet sich die Fachberatung an KiTas in eigener, kommunaler Trägerschaft, kann sich aber auch an Einrichtungen in anderer Trägerschaft richten. Grundsätzlich muss der örtliche Träger der Jugendhilfe nach § 22a Abs. 5 SGB VIII im Rahmen seiner Gesamtverantwortung alle KiTas und ihre Entwicklung im Blick haben. 2. Fachberatung durch Einrichtungsträger
In diesem Fall sind FachberaterInnen beim jeweiligen Einrichtungsträger angestellt und so jeweils dessen konzeptionellem Profil bzw. Leitbild verpflichtet. 3. Fachberatung durch Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege
FachberaterInnen sind auch bei Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege angestellt, die selber keine KiTas in ihrer Trägerschaft haben. Eine solche übergeordnete Ansiedlung erleichtert die fachliche Unabhängigkeit der Fachberatung. 4. Fachberatung durch externe AnbieterInnen
Insbesondere kleine und finanziell schwache KiTa-Träger (z. B. Elterninitiativen), die keine eigene Fachberatung vorhalten können, sind auf die Dienstleistung von freien bzw. privat-gewerblichen FachberaterInnen angewiesen. Diese haben den Vorteil eines fachlich unabhängigen Blicks »von außen«. Für einzelne Themen oder aktuelle Herausforderungen werden diese FachberaterInnen teilweise von KiTas größerer Träger als punktuelle Ergänzung der internen Fachberatung in Anspruch genommen. Nur in Ausnahmefällen können externe Anbieter aber eine längerfristige Prozessbegleitung gewährleisten und so kaum Einfluss auf das System nehmen. Rechtliche Verankerung
Grundsätzlich ist festzustellen, dass viele Bundesländer zwar Aussagen zur Bedeutung von Fachberatung und zur Notwendigkeit ihrer Inanspruchnahme durch die KiTas treffen. Allerdings nutzen nur wenige Länder die Möglichkeit, das Aufgabenprofil und die Qualifikationsvoraussetzungen der Fachberatung klarer zu umreißen, geschweige denn Aussagen zu ihrer Finanzierung zu treffen. Zur differenzierten Darstellung der (aktuellen) rechtlichen Verankerung der Fachberatung auf Bundes- und Landesebene sei an dieser Stelle auf den folgenden Beitrag (siehe S. 119 ff.) verwiesen. Berufs- und Aufgabenprofil
Da Fachberatung bisher kein geschützter oder im Sinne eines übergreifenden Professionsverständnisses eindeutig definierter Begriff ist, stellt sich ihr Berufs- und Aufgabenprofil als äußerst vielfältig und teils sogar widersprüchlich dar. Fachberatung ist so letztlich »noch weit davon entfernt, Berufsidentität für die Ausführenden zu schaffen, so wie es andere Berufsbilder tun können« (Münch 2010, S. 47). Es wundert daher nicht, dass Anstellungsträger von Fachberatung zuweilen Schwierigkeiten haben, eine klare Stellenbeschreibung oder ein klares Aufgabenprofil zu definieren (dies spiegelt sich auch in einer aktuellen Analyse der Stellenausschreibungen für Fachberatungen auf S. 152 ff. wider). Damit drohen FachberaterInnen entweder zum beliebig einsetzbaren »Mädchen für alles« zu werden oder sie können dieses Definitionsvakuum nutzen, um die Stelle ganz nach den Bedarfen vor Ort bzw. an ihren persönlichen Vorlieben und Kompetenzen auszurichten. Zugespitzt formuliert bewegt sich das Berufs- und Aufgabenprofil der Fachberatung derzeit zwischen den Polen von klassischer sozialpädagogischer Beratung und Prozessbegleitung einerseits und einem gezielten Qualitäts- und Organisationsmanagement andererseits. Im Zuge der anfangs dargestellten An- und Herausforderungen im Feld der frühkindlichen Erziehung, Bildung und Betreuung ist hierbei eine deutliche Verschiebung in Richtung des zweiten Poles zu verzeichnen. Auch die Trägerberatung selbst nimmt dabei einen zunehmenden Raum ein und führt dazu, dass viele Fachberatungen vermehrt das Gefühl haben, »zwischen den Erwartungen des Teams bzw. der Einrichtungsleitung und denen des Trägers hin- und hergerissen zu werden« (vgl. Sell 2011, S. 10). Ein weiteres Spannungsfeld tut sich in der Verbindung der Fachberatung mit einer Fach- und/oder Dienstaufsicht auf. Nach den Ergebnissen einer WiFF-Studie nehmen 54 Prozent der befragten FachberaterInnen gleichzeitig eine Aufsichtsfunktion wahr. »Der Umfang, in dem diese ausgeübt wird, schwankt jedoch stark je nach...