E-Book, Deutsch, 235 Seiten
Reihe: Soziale Arbeit studieren
Sandermann / Neumann Grundkurs Theorien der Sozialen Arbeit
2. aktualisierte Auflage 2022
ISBN: 978-3-8463-5971-6
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 235 Seiten
Reihe: Soziale Arbeit studieren
ISBN: 978-3-8463-5971-6
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Soziale Arbeit studieren
Diese kritischsystematische Einführung gibt Studierenden einen Überblick zum Themenfeld Theorien der Sozialen Arbeit. Die Autoren ermuntern zu einer differenzierten und analytischen Auseinandersetzung mit dem aktuellen Theoriediskurs, bei dem neben dem Aussagegehalt der Theorien der Sozialen Arbeit vor allem ihre Plausibilisierungsstrategien sowie deren Grenzen im Mittelpunkt stehen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Einleitung zur 2. Auflage 9
1 Was sind Theorien der Sozialen Arbeit? 18
1 1 Zum konstitutiven Zusammenhang von Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit 19
1 2 Zum Unterschied zwischen Rezepten und Theorien der Sozialen Arbeit 35
1 3 Zusammenfassung: Zum Theorieverständnis des vorliegenden Bandes 41
2 Historische Stationen auf dem Weg zu Theorien der Sozialen Arbeit 49
3 Systematisierender Überblick: Beispiele etablierter Theorien der Sozialen Arbeit 66
3 1 Theorie der industriegesellschaftlich gerahmten Erziehungswirklichkeit 70
3 1 1 Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie? 72
3 1 2 Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit? 75
3 1 3 Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit? 79
3 2 Theorie der Alltags- und Lebensweltorientierung 80
3 2 1 Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie? 82
3 2 2 Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit? 83
3 2 3 Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit? 87
3 3 Theorie der Unterstützung zur Lebensbewältigung 89
3 3 1 Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie? 90
3 3 2 Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit? 92
3 3 3 Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit? 96
3 4 Theorie der Dienstleistungsorientierung 99
3 4 1 Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie? 100
3 4 2 Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit? 101
3 4 3 Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit? 108
3 5 Theorie der reflexiven Sozialpädagogik 110
3 5 1 Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie? 112
3 5 2 Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit? 113
3 5 3 Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit? 117
3 6 Theorie des sozialpädagogischen Diskurses 119
3 6 1 Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie? 120
3 6 2 Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit? 122
3 6 3 Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit? 124
3 7 Theorie der organisierten Hilfe 127
3 7 1 Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie? 131
3 7 2 Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit? 134
3 7 3 Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit? 138
3 8 Theorie des Funktionssystems sozialer Hilfe 141
3 8 1 Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie? 142
3 8 2 Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit? 143
3 8 3 Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit? 149
3 9 Theorie des Regierungshandelns 152
3 9 1 Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie? 155
3 9 2 Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit? 158
3 9 3 Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit? 162
3 10 Theorie der intervenierenden Sozialpolitik 167
3 10 1 Welches Erkenntnisziel formuliert die Theorie? 168
3 10 2 Wo und wie beobachtet die Theorie Soziale Arbeit? 170
3 10 3 Was identifiziert die Theorie als Praxis der Sozialen Arbeit? 174
4 Was unterscheidet Theorien der Sozialen Arbeit? 177
4 1 Erkenntnisziele 178
4 2 Gegenstandsauffassungen 181
4 3 Praxisverständnisse 187
5 Inwiefern ähneln sich Theorien der Sozialen Arbeit? 193
5 1 Mehrfachansprüche 195
5 2 Komplexe Axiome, Objektivismen und Ontologisierungen 198
5 3 Zwischen wahrer und wirklicher Praxis 204
6 Das Ende der Grand Theories? Neuere Entwicklungen und Ausblick 209
Literatur 217
Sachregister 233
1 Was sind Theorien der
Sozialen Arbeit? Das Ziel dieses Kapitels ist es zu klären, was Theorien der Sozialen Arbeit sind. Dafür ist es zunächst wichtig zu verdeutlichen, inwieweit Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit logisch eng miteinander zusammenhängen. Im ersten Unterkapitel 1.1 werden wir der Ausgangsthese folgen, dass sich Theorien immer auf etwas beziehen, was sie als „real“ ansehen. Umgekehrt gilt damit zugleich, dass die Beschäftigung mit Theorie immer auch eine Auseinandersetzung darüber einschließt, worauf sich Theorie bezieht. Im Falle der Sozialen Arbeit ist dieser Bezugspunkt üblicherweise „die Praxis“. Welchen Auftrag Theorien mit Blick auf ihre Bezugspunkte haben, darüber gibt es allerdings – gerade in den Sozial- und Geisteswissenschaften – nicht nur Konsens, sondern auch Kontroversen und Differenzen. Dies gilt auch im Bereich von Theorien, welche das Ziel haben, Wissen über die Soziale Arbeit zu generieren. Strittig ist dabei vor allem, was als „wertvolles“ Theoriewissen zur Sozialen Arbeit anzusehen ist. Eine entscheidende Dissenslinie verläuft z. B. zwischen Positionen, die Theorien in der Pflicht sehen, normatives Handlungswissen bereitzustellen, und Positionen, die diese Möglichkeit bestreiten oder sie zumindest der Aufgabe von Theorien unterordnen, reflexives, analytisches Wissen zu produzieren. Weitgehende Einigkeit besteht jedoch darin, dass sich theoretische Erkenntnisse über die Praxis, die durch Theorien der Sozialen Arbeit generiert werden, nicht einfach „in die Praxis“ übertragen oder für eine Veränderung von Praxis „benutzen“ lassen. Warum das so ist, werden wir in Kapitel 1.2 erläutern. In Kapitel 1.3 werden wir noch einmal zusammenfassen, warum es wertvoll ist, sich innerhalb des Studiums mit Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit zu beschäftigen – zumal man sich reflektierterweise gar nicht für nur eines von beidem entscheiden kann. Abschließend werden wir noch einmal verdeutlichen, welchen theoretischen Blick dieses Buch auf Theorien der Sozialen Arbeit richtet. 1.1 Zum konstitutiven Zusammenhang von Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit „Theorie interessiert mich nicht, denn ich will ja in die Praxis!“ Diesen Satz hört man von Studierenden der Sozialen Arbeit immer wieder. Nachfolgend verdeutlichen wir, warum es Sinn macht, diesem Satz mit äußerstem Misstrauen zu begegnen. Aus dem Alltagsverständnis, dass es sich bei Theorie und Praxis um zwei unterschiedliche Dinge handelt, wird gelegentlich geschlussfolgert, dass Theorie und Praxis eigentlich nichts oder jedenfalls nicht unmittelbar etwas miteinander zu tun haben (können). Wir werden im Folgenden zeigen, dass sich zwar die erste Annahme („Theorie und Praxis sind etwas Unterschiedliches“) durchaus gut begründen lässt. Das heißt jedoch gerade nicht, dass Theorie und Praxis zwei völlig unterschiedliche oder gar unvereinbare Sachverhalte sind. Aber der Reihe nach: Zunächst einmal macht es tatsächlich einen Unterschied, ob man über Theorie spricht oder über Praxis. Auch deswegen gibt es z. B. unterschiedliche Bände innerhalb der vorliegenden Reihe „Soziale Arbeit studieren“, von denen nur einer explizit das Thema „Theorien der Sozialen Arbeit“ behandelt. Man kann also durchaus davon ausgehen, dass sich die Unterscheidung von Theorie und Praxis in der Sozialen Arbeit eingebürgert hat und ihr damit auch eine gewisse Sinnhaftigkeit zukommt. Diese Sinnhaftigkeit ist bereits daran zu erkennen, dass wohl kaum jemand spontan bestreiten würde, dass beides existiert: Es gibt einerseits „Theorie der Sozialen Arbeit“ und andererseits „Praxis der Sozialen Arbeit“, sonst würde man nicht ständig über beides sprechen. Die Aussage, dass es Praxis der Sozialen Arbeit gibt, ist jedoch keineswegs so selbstverständlich, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Sie hat bereits mit einer Besonderheit zu tun, auf die wir im Verlauf dieses Buches verschiedentlich zu sprechen kommen werden. Um ein erstes Verständnis für diese Besonderheit zu entwickeln, kann ein Blick auf andere Fachdisziplinen hilfreich sein. Hierzu ein Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie studierten ein anderes Fach als „Soziale Arbeit“, z. B. Philosophie, Soziologie oder auch Physik. Was eine „Praxis der Philosophie“ sein könnte, leuchtet Ihnen vielleicht noch relativ spontan ein. Wie sieht es aber mit Ihren spontanen Assoziationen zu so etwas wie einer „Praxis der Soziologie“ oder einer „Praxis der Physik“ aus? Eine Vorstellung davon ist zwar möglich. Sich ein konkretes Bild davon zu machen, erscheint aber auf den ersten Blick voraussetzungsreicher zu sein als eine Vorstellung von der „Praxis der Sozialen Arbeit“. Eine solche Vorstellung wird jede / r LeserIn dieses Bandes spontan entwickeln können – wenngleich sie sich, wie wir später zeigen werden, auf den zweiten Blick nicht notwendigerweise als tragfähig herausstellen muss. Trotzdem gehen die meisten Menschen davon aus: „Natürlich, eine Praxis der Sozialen Arbeit, das gibt es!“ Aber eine Praxis der Physik? Während es in der Physik meist schwerer fällt, ein spontanes Bild von Praxis zu entwerfen, ist es hier im Umkehrschluss leichter, sich vorzustellen, was Physik mit Theorie(n) zu tun hat. Ähnlich könnte es im Fall der oben angesprochenen Disziplinen Soziologie und Philosophie, aber auch vielleicht bei der Literaturwissenschaft oder der Mathematik sein. Wir bleiben der Anschaulichkeit halber noch für einen Moment beim Beispiel der Physik. Eine physikalische Theorie wäre bspw. die Gravitationstheorie der klassischen Physik. Diese erklärt überzeugend, warum der Bleistift, den Sie im Vorlesungsraum fallen lassen, auf dem Boden landet und nicht an die Decke fliegt. Weil dies theoretisch schlüssig ist, muss man diesen Vorgang auch nicht stetig in Experimenten wiederholen, um weiterhin daran glauben zu können, dass es sich hierbei um ein Gesetz handelt. Die Theorie ist stattdessen in der Lage, jeden einzelnen neuen Vorgang dieser Art im Lichte einer generellen Regel darzustellen. Die Regel lässt sich sogar in der Sprache der Mathematik reformulieren. Gerade ihre hohe Erklärungskraft bei gleichzeitiger mathematischer Klarheit haben Theorien der klassischen Physik über lange Zeit hinweg so überzeugend gemacht, dass man sie als Vorbild für alle anderen Wissenschaften angesehen hat. Entscheidend ist hier aber noch etwas Anderes: Bevor die Gravitationstheorie irgendetwas erklärt, hält sie zunächst einmal eine Beobachtung fest. Sie beschreibt konkrete Phänomene in einem bestimmten Zusammenhang (hier: ein Bleistift fällt auf den Boden), findet Parallelen zu anderen konkreten Phänomenen in einem für sie ähnlich wirkenden Zusammenhang und richtet damit einen Blick auf die Welt, der es ihr erst ermöglicht, eine generelle Regel (man könnte auch sagen: ein Muster) zu bestimmen. Erst nachfolgend geht es dann darum, diese Regel logisch widerspruchsfrei mit Erklärungen zu verbinden. Am Beispiel gesprochen: Es wird zunächst die generalisierte Beobachtung festgehalten, dass alle Dinge auf dem Planeten Erde, die schwerer als die sie umgebende Luft, aber ausschließlich von Luft umgeben sind, auf den Boden fallen, wenn sie nicht daran gehindert werden. Erst danach geht es ans Erklären und Schlussfolgern. Vergegenwärtigt man sich diesen Erkenntnisprozess, so wird deutlich, dass die erwähnte Gravitationstheorie durchaus auch etwas mit „Praxis“ und lebenspraktischen Erfahrungen zu tun hat. Denn die Gravitationstheorie wird erst greifbar, wenn man sie auf konkrete, „praktische“ Phänomene bezieht (hier die „praktische“ Situation mit Ihrem Bleistift im Vorlesungssaal). Im Umkehrschluss hat die Theorie damit auch einen unmittelbar praktischen Wert. Sie erleichtert es Ihnen, das Phänomen des nach unten fallenden Bleistifts einzuordnen und hierauf bezogen ein hohes Maß an Erwartungssicherheit aufzubauen, welches über Ihre reine Erfahrung mit ständig nach unten fallenden Gegenständen hinausgeht. Weder der nach unten fallende Bleistift noch der nach oben steigende Helium-Luftballon, der Ihnen aus der Hand gleitet, wird Sie dann noch überraschen. Auf eine prägnante Formel gebracht könnte man also sagen: Gute Theorie hilft Ihnen dabei, Ihr Leben erwartungssicherer zu machen. Aus diesem von der Physik entlehnten Beispiel lässt sich nun etwas Allgemeines zum konstitutiven Verhältnis von Theorie und Praxis festhalten: Theorie fängt nicht bei der Erklärung eines Phänomens oder gar bei Vorschlägen zu seiner Veränderung an, sondern bereits im Moment der Beschreibung. Theorie ist damit nichts, das nur irgendwo fernab der praktischen Welt eine Rolle spielt. Im Gegenteil: Jede Theorie braucht einen Gegenstand, auf den sie sich bezieht, um sich überhaupt als Theorie „in Stellung bringen“ zu können. Ein solcher Gegenstand muss nicht unbedingt ein greifbares und alltäglich vertrautes...